Nicht die Bohne!
Vorstellungsgespräch? Ein verstecktes Assessment-Center? Oder die übliche Vorgehensweise bei einer ökologischen Produzentengemeinschaft?
4. Was bedeutet »gefällt uns gaaanz gut«? Besonders gut? Exorbitant gut? Ich bin bereits angestellt? Sind alle anderen Bewerber gaaanz schlecht? Fragen über Fragen.
Ich bin so aufgewühlt, dass ich der Aufforderung zurückzurufen einfach folge und umgehend die genannte Nummer wähle.
Es klingelt einmal, dann prustet Elena Meyer in mein rechtes Ohr. Sie musste wohl gerade niesen, als ihr Telefon klingelte, und zwar direkt in meinen Gehörgang. Zum Glück bin ich durch Julians akustisches Hochleistungstraining einiges gewohnt und zucke nur kurz zusammen.
»Gesundheit! Hier ist Paula Schmidt«, sage ich freundlich.
»Danke und Entschuldigung und hallo, Frau Schmidt«, antwortetet Elena Meyer verschnupft.
»Grippe?«, frage ich vorsichtig.
»Allergie gegen Glutamat«, antwortet sie und muss wieder niesen.
»Teufelszeug!«, skandiere ich.
»Fürchterlich! Und ich weiß noch nicht einmal, wo es drin gewesen ist. Die Lebensmittelindustrie verarscht uns einfach nach Strich und Faden!«
Aha, ihr Element. Meins aber auch. Bin durch die harte Schule meiner Lebensmittelzusatzstoffe bekämpfenden Eltern gegangen.
»Ich sage es Ihnen! Vorne schreiben sie groß ›ohne Zusatz von geschmacksverstärkenden Stoffen‹ drauf, und hinten steht ganz klein ›Hefeextrakt‹.«
Das trifft den Kern der Sache zwar nicht ganz, aber es macht hoffentlich deutlich, dass ich hinter der Sache stehe. Hinter welcher auch immer.
»Ha! Genau so ist es!«, ereifert sich Elena Meyer erfreut.
Wir verstehen uns, und ich befinde mich demnach mitten im alles entscheidenden Vorvorstellungsgespräch.
»Können Sie mal rumkommen?«, fragt sie, und ich antworte: »Wann und wo?«
»Hegewalder Straße drei. Das liegt in der Nähe des Naturschutzgebietes. Wann passt es Ihnen denn? Ich könnte innerhalb von einer Stunde alle zusammentrommeln.«
Alle zusammentrommeln? Hoppla! Habe ich es mit einem ganzen Rudel von Öko-Kämpfern zu tun?
»Äh, super. Ich könnte heute Abend gegen achtzehn Uhr bei Ihnen sein.«
»So machen wir es. Sie können auf dem Hof parken. Bis dahin!«, sagt sie energisch und legt auf.
Bis zu dem Moment, als ich den kleinen roten Knopf an meinem Handy drücke, bin ich die Ruhe selbst. Danach überkommt mich augenblicklich die Panik.
»Uaahhhhhh!«, stöhne ich auf und sinke ermattet auf mein Sofa. Alle offenen Fragen waren bis zu diesem Zeitpunkt nur unsortierte Fragmente in meinem Hirn. Jetzt muss ich sie sortieren und passend zusammenstellen. Die wichtigste Frage vorab: Was mache ich mit der Bohne?
Ganz taff hatte ich mir vorgenommen, sie einfach nicht zu erwähnen. Rechtlich ist das erlaubt, zumindest sagt Google das nach eingehender Befragung. Aber jetzt ist es einfach unvorstellbar, den Zustand in meinem Uterus unerwähnt zu lassen. Zumal es zwangsläufig irgendwann offensichtlich werden wird.
Dann das Thema Gehaltsvorstellung. Was brauche ich denn wirklich zum Leben? Womit wir wieder beim Thema wären: Was darf eine neue Wohnung kosten? Muss ich den Golf verkaufen? Immer all diese Fragen. Ich bin erschöpft und kurz geneigt, mich wieder greinend ins Bett zu verziehen, aber die unbekannte Instanz in meinem Hirn hindert mich daran. Nachdem sie wochenlang geschwiegen hat, brüllt sie mir plötzlich und ohne Vorwarnung »Jetzt Arsch zusammenkneifen!« ins Kleinhirn. Ich rolle mit den Augen, gehorche dann aber.
Zügig mache ich mich an eine neue Liste. Thema: »Geld für mich und die Bohne!«
Fazit: Arbeitslosengeld ist toll, aber nur kurzfristig. Besser jetzt einen neuen Job als nach der Geburt der Bohne. Meine neue Wohnung darf ungefähr fünfhundert Euro kosten. Der Golf kann bleiben, da sparsam im Verbrauch (bei entsprechender omamäßiger Fahrweise) und abbezahlt. Kindergedöns bekomme ich von Andrea. Kinderbetreuung von meiner Mutter – ich hoffe, sie ahnt bereits etwas von ihrem Glück.
Essen erlege ich zur Not selbst. Äh … war nur Spaß. Aber so viel isst die Bohne ja am Anfang noch nicht. Und auch das hat mir Google mitgeteilt: Der Kindsvater hat Unterhalt zu leisten. Tief in meinem Unterbewusstsein war mir das schon klar, jetzt habe ich allerdings in einer spannenden Liste nachgelesen, wie viel: nämlich fast vierhundert Euro. Ich weiß ja, dass Olaf sehr gut verdient, das wird ihm also nicht allzu wehtun.
Dieser Unterhalt klingt erst mal nach verdammt viel
Weitere Kostenlose Bücher