Nicht die Bohne!
gerade erkannt, mit wem Elena sich da so in den Flicken liegt. Das wiederum führt dazu, dass ich wie festgenietet auf der untersten Stufe stehen bleibe und sämtliche elterliche Prägungen vorübergehend vergessen sind. Höchst interessiert lausche ich auf das heftige Streitgespräch in der Küche, während ich entschuldigende Blicke gen Decke sende.
»Es geht mich nichts an?« Elena klingt jetzt, als stände sie kurz vor der Hysterie. »Du musst endlich mal wieder anfangen zu leben, verdammt noch mal!« Die letzten drei Worte werden untermalt von einem scharfen Knall, der durch das ganze Haus hallt.
Blitzschnell springe ich von der Stufe und sprinte zur angelehnten Küchentür. Vielleicht hat sie versucht, Simon mit einem harten Gegenstand niederzustrecken, denn definitiv hat sie irgendwas geschmissen. Was und in welche Richtung, ist noch offen, aber das Lauschen muss umgehend in ein Zur-Rettung-Eilen modifiziert werden. Ich stoppe kurz vor der Tür und stoße sie dann vorsichtig auf.
»Hallo!«, kündige ich mich mit lauter Stimme an. Nicht dass noch was geflogen kommt. Das Ausbleiben einer Reaktion veranlasst mich, mutig um die Ecke zu lugen, wo sich mir ein hübsches Bild bietet: Simon und Elena stehen sich in identischer Körperhaltung an den gegenüberliegenden Seiten der Küche gegenüber. Elena lehnt am Kühlschrank, Simon an der Wand, beide mit fest vor der Brust verschränkten Armen. Zwischen ihnen auf dem Boden liegen die Scherben einer Kaffeetasse, und die hellen Fliesen sind großzügig mit dunklen Flecken übersät. Die Tasse war ganz offensichtlich voll, bevor sie ihren Kampf gegen die Schwerkraft angetreten ist, denn nach einem kurzen Blick durch den Raum entdecke ich sogar an der weißen Decke dunkle Sprenkel. Eine wahre Kaffeeexplosion. Aber körperlich verletzt scheint keiner zu sein. Abgesehen von der Tasse.
Elena schnauft und schlägt dann mit der flachen Hand einmal fest auf den Küchentresen. Ich zucke erschrocken zusammen. Sie scheint wirklich sehr wütend zu sein.
»Dann mach es so, wie du es für richtig hältst, aber belästige mich NIE wieder damit!«
Mit diesen höchst dramatischen Worten rauscht Elena aus der Küche, nicht ohne sich vorher noch ein freundliches Nicken in meine Richtung abzuringen.
Simon steht stocksteif da, die Augen geschlossen, die Lippen fest aufeinandergepresst. Aber wenigstens scheint er noch zu atmen. Das werte ich erst mal als gutes Zeichen. Vorsichtig pirsche ich mich an ihn heran.
»Worüber ihr auch immer gestritten habt, es war traumatisierend«, sage ich, als ich direkt vor ihm stehe. Okay, das war nicht der klügste Kommentar, aber mir fällt beim besten Willen nichts anderes ein. Es ist vor neun, da ist mein Sprachzentrum noch etwas phlegmatisch.
Mein kühner Spruch veranlasst Simon zumindest, die Augen zu öffnen. Er sieht richtig fertig aus, und tief in mir verspüre ich den Wunsch, irgendetwas zu tun, um dem großen blonden Mann zu helfen. Mein Kopf setzt mich allerdings leicht bockig davon in Kenntnis, dass ich den Streitgrund ja nicht kenne und er vielleicht etwas wirklich Blödes getan hat. Etwas moralisch Verwerfliches und gesellschaftlich nicht Akzeptables. Dann dürfte ich natürlich auf keinen Fall nett zu ihm sein. Elenas Verhalten sollte mich eigentlich darauf schließen lassen, dass es sich genau so verhält, aber ich befehle meinem Kopf, jetzt einfach mal die Klappe zu halten.
Simon wirkt immer so souverän in allem, was er tut. Unfreundlich, schweigsam und unpünktlich, aber souverän. Jetzt sieht er völlig verloren aus. Als ob dieser Streit mit Elena und ihre harten Worte ihn bis ins Mark erschüttert hätten.
»Kaffee könnte helfen«, sage ich also betont munter und berühre ihn leicht am Oberarm. Weder schnappt er nach mir, noch weicht er meinem Blick aus. Ich werte auch dies als positives Zeichen und greife etwas fester zu, um ihn zum Küchentisch zu manövrieren. Ich hatte irgendeine Form von Widerstand erwartet; das Ausbleiben besagten Widerstands bringt mich etwas aus der Fassung.
»Milch? Zucker?«, frage ich also, während er sich tatsächlich auf den von mir vorgesehenen Holzstuhl setzt.
»Beides«, murmelt er mit dieser heiseren Stimme, und ich kann mich gerade noch davon abhalten, ihm zärtlich über das Haar zu streichen. Schlimm ist das. In Gegenwart dieses Mannes springt mein Hirn offensichtlich in irgendeinen Tussi-Modus.
Ich befülle zwei Kaffeebecher und schiebe auf dem Weg zurück zum Tisch die Scherben des
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