Nicht die Bohne!
nicht, der scheint den spontanen Richtungswechsel nicht mitbekommen zu haben und schleicht höchst verstört die Treppe wieder hoch.
Kurz darauf fällt die Eingangstür hinter ihnen ins Schloss.
Die schwangere Vertrieblerin und der Tischler mit der Blockade stehen knutschend auf dem Flur herum. Ich würde sagen, da haben wir die Bude mal ordentlich aufgemischt.
Der Tag geht spannend weiter. Um elf Uhr ist der Dachstuhl so weit abgestützt, dass kein weiteres Unheil mehr droht. Es folgt eine ausgiebige Schadensbegutachtung durch die Blaumannträger, wobei sie natürlich den Plan immer bei sich tragen. Abwechselnd. Auf dem Ding müssen irgendwelche wichtigen Zauberformeln stehen. Kein Mann entfernt sich mehr als drei Meter von diesem wichtigen Stück Papier. Während wir die seltsame und offensichtlich planabhängige Gesellschaft bei ihrer Arbeit beobachten, flüstert Elena mir ins Ohr: »Ich weiß, was da draufsteht: Atmen, gehen, sprechen, verdauen!«, woraufhin wir kichernd ins Stroh fallen.
Dann vergeht mir allerdings das Lachen, denn endlich wird mir meine Wohnung vorgestellt. Prompt muss ich wieder ein klein wenig weinen. Der Dreck, den Simon vor der akuten Einsturzgefahr noch wegräumen wollte, ist zwar immer noch da, aber trotzdem erkenne ich glasklar: Diese Wohnung wird ein Traum!
Der Dielenboden muss noch verlegt werden, und das Bad ist auch noch nicht gefliest. Aber die Aufteilung ist traumhaft. Die beiden kleineren Zimmer sind durch eine alte Schiebetür miteinander verbunden, womit jetzt schon klar ist, dass die Bohne und ich hier nächtigen werden. Das größere Zimmer hat eine Terrasse zu den Wiesen raus und ist zur Küche hin offen. Alles ist so wunderbar, dass ich Elena schluchzend in die Arme falle, woraufhin die Dachsanierer zügig den Ort des Geschehens verlassen. Der Umgang mit weinenden Schwangeren scheint auf dem Plan leider nicht explizit ausgeführt zu sein.
Um halb fünf holt Jutta mich ab, denn heute ist sie dran, Dr. Ganter zu verwirren. Der spielt auch brav mit. Als ich auf die Liege hüpfe, fragt er sie konfus: »Und Sie sind jetzt … äh … die Mutter?«
»Freundin«, antwortet Jutta liebenswürdig und bringt sich in Position, um auch ja nichts von dem Bohnen-Kino zu verpassen.
»Aha«, sagt Dr. Ganter und beginnt das Gel auf meinem Bauch zu verteilen. So viel reger Baby-Tourismus kommt ihm vermutlich auch nicht ständig unter.
»So, da ist sie ja!« Freudig drückt er den Schallkopf fester in meinen Bauch. »Und jetzt hab ich mich auch gleich verplappert, aber Sie wollten ja schon die ganze Zeit wissen, was es wird. Da haben wir’s, klar zu erkennen: ein Mädchen!«
Ich starre mit zusammengekniffenen Augen auf den Monitor. Was da klar zu erkennen sein soll, erschließt sich mir zwar nicht, aber mein Herz pocht trotzdem im Akkord. Die Bohne ist ein Mädchen! Wusst ich’s doch.
»Sieht alles sehr schön aus«, fährt Dr. Ganter zufrieden fort. »Dann sind Sie ja jetzt in der dreiundzwanzigsten Woche, Frau Schmidt. Haben Sie denn schon eine Klinik ausgewählt?«, fragt er abwesend, während er weiter auf meinem Bauch herumfuchtelt.
»Noch nicht. Das machen wir nächste Woche«, antwortet Jutta ebenso abwesend, während sie auf den Bildschirm starrt.
»Und wer kommt mit zur Geburt?« Dr. Ganter sieht mich jetzt direkt an, doch wieder antwortet Jutta ihm. »Wissen wir noch nicht. Eventuell knobeln wir oder machen das im Schichtsystem.«
Dr. Ganter grinst mich an, und ich lächle entspannt zurück. »Wie ich sehe, haben Sie die schwierigen persönlichen Verhältnisse gut im Griff«, flüstert er mir zu und fügt dann in normaler Lautstärke hinzu: »Achthundert Gramm wiegt die Kleine. Das ist genau richtig. Sie ist ungefähr so groß wie, äh«, er hält kurz inne und schaut gen Decke. »Ein Baguettebrötchen«, fährt er fort.
»Dr. Ganter, das ist ein Kind und kein Baguettebrötchen«, tadelt Jutta ihn, während sie mir beruhigend das Knie streichelt.
»Äh, ja.« Dr. Ganter scheint leicht überfordert mit Jutta, verabschiedet sich aber dennoch formvollendet per Handschlag und entschwindet samt wehendem Kittel aus dem Untersuchungszimmer.
Zurück bleiben wir drei. Also, wir zweieinhalb: Jutta, ich und … meine Tochter! Ich schließe die Augen und lege die Hände auf meinen Bauch. Kurz darauf legen sich Juttas Hände dazu, und so verharren wir, bis eine übereifrige Sprechstundenhilfe den Raum stürmt und uns über all die Schwangeren im Wartezimmer in Kenntnis setzt,
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