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Nicht die Bohne!

Nicht die Bohne!

Titel: Nicht die Bohne! Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Steffan
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die jetzt auch mal an das Ultraschallgerät wollen.
    Nach dem Bohnen-Watching bringt Jutta mich zurück zum Hof. Der Golf steht ja noch dort, außerdem will ich dringend ein paar wichtige Mails beantworten, die wegen des Chaos einfach liegen geblieben sind. Ich verziehe mich in mein Büro, bis um kurz nach sieben Elena vor der Tür steht.
    »Warum bist du noch hier?«, fragt sie streng, und ich antworte: »Nur ganz kurz, ich bin gleich fertig, versprochen.«
    »Übernimm dich nicht. Weißt du, wo Simon ist? Wir sitzen unten über den Versicherungsunterlagen und brauchen ihn ganz dringend. Er muss was Wichtiges entscheiden wegen der Formulierung. Nicht dass wir was Falsches schreiben, und die ganze Knete ist futsch.« Sorgenvoll runzelt sie die Stirn.
    Der Auftrag ist klar: Ich soll Simon, den Entscheidungsträger in Sachen Versicherung, suchen. Da ich diejenige bin, die hier vor wenigen Stunden knutschend mit ihm auf dem Flur herumstand, scheint die Öko-Gang einfach davon auszugehen, dass ich auch jetzt weiß, wo er ist, und ihn umgehend von der zu fällenden Entscheidung in Kenntnis setzen werde. Und das persönlich, da die Nutzung eines Handys vermutlich fünf verschiedene wichtige natürliche Ressourcen vernichten würde. Mobiltelefone sind nämlich, so ist zumindest die einhellige Meinung in der Hegewaldstraße Nummer drei, mindestens solches Teufelszeug wie Glutamat und E320 im Essen. Nur Simon sieht das etwas anders, konnte diesbezüglich aber noch keine erfolgreiche Missionsarbeit leisten.
    Also mache ich mich auf den altbekannten Weg quer über den Hof, wobei ich diesmal in der Werkstatt angekommen erst mal die dreckigen Schuhe von den Füßen streife. Auf Socken laufe ich vorsichtig die schmalen Holzstiegen nach oben und bin dabei leider so lautlos wie ein Wattebausch. Um diesen Mangel an ankündigenden Geräuschen auszugleichen, klopfe ich, oben angekommen, höchst energisch gegen die Tür. Keine Reaktion. Noch einmal. Wieder nichts. Dabei muss Simon da sein. Schließlich sehe ich unter dem Türschlitz Licht hervorscheinen, und wir befinden uns hier auf einem Ökohof. Das bedeutet: Wo Licht, da auch ein Mensch. Denn Licht und kein Mensch = Verschwendung von nicht erneuerbaren Ressourcen.
    Vielleicht hört er Musik. Oder er schläft. Oder er stellt sich tot. Kurz entschlossen und ohne auf den vernunftbetonten Teil in mir zu hören, der leise » Das macht man aber nicht! « jammert, drücke ich die Türklinke herunter. Dann strecke ich vorsichtig den Kopf in den hell erleuchteten Raum, der Simon als Schlaf- und Wohnzimmer dient.
    Simon ist tatsächlich da. Oder besser gesagt: ein Teil von ihm.
    Wie vom Blitz getroffen ziehe ich den Kopf wieder zurück und bleibe erst mal im Türrahmen stehen. »Tür zu und weg!«, wispert es verstört in meinem Kopf. Aber anstatt auf den Schisser in mir zu hören, hole ich tief Luft und betrete mutig den Raum.
    Meine Adrenalin-Produktion steigt sogleich ins Unermessliche, und die Bohne beginnt irgendwo unterhalb meines linken Rippenbogens einen Breakdance. Ganz entfernt höre ich das Rauschen der Dusche und gehe angespannt noch einen Schritt weiter. Ich sollte mir ganz dringend SOFORT Gedanken darüber machen, was passieren wird, wenn Simon aus dem Bad kommt.
    Doch all meine Gedanken werden von dem Gegenstand vor mir auf dem Bett in Anspruch genommen. Denn dort liegt ganz offensichtlich Simons Defizit. Es sieht aus wie etwas, das mal bei Star Trek als Requisite mitgespielt hat. Ich habe mir die schlimmsten Dinge ausgemalt, was dieser Mann für ein Problem haben könnte. Eine traumatische Kindheit. Eine verstorbene Ehefrau. Ein zur Adoption freigegebenes Kind. Aber was ihm wirklich fehlt, ist offenbar ein Bein.
    Dieses Bein liegt nämlich auf dem Bett. Hochmodern aus Hochglanz-Karbon und Stahl sieht dieses Teil technisch sehr ausgefeilt aus und kann vermutlich außer Laufen noch andere wichtige Dinge. Und plötzlich ergeben so viele Dinge einen Sinn. Sein gelegentliches Humpeln, sein Problem, mit den schweren Kisten die Treppe hochzulaufen.
    Ich weiß nicht, was ich denken soll, schließlich kannte ich bisher niemanden, der auf eine Prothese angewiesen ist. Was bedeutet es überhaupt, ein Körperteil zu verlieren? Was bedeutet es für Simon? Offensichtlich ist es nicht gerade leicht, wenn das der Grund ist, warum er sich immer wieder vor der Welt zurückzieht. Die Gedanken fliegen wirr in meinem Kopf hin und her, und das Einzige, was ich in dieser Angelegenheit mit Gewissheit

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