Nicht ganz sauber
ob ich zu früh dran sei und noch mal um den Block gehen solle, damit er sich anziehen könne. Er winkte lachend ab und sagte, er liebe es, in »Freizeitklamotten« herumzulaufen, wenn er freihabe. Dass er 365 Tage im Jahr Urlaub hatte, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
In einem unbeobachteten Zeitpunkt griff ich, nachdem ich meine Hausschuhe in der Küche angezogen hatte, zum Handy und schickte meiner Schwester eine SMS:
»Ist Otto immer halb nackt? Will der mich anmachen? Soll ich lieber gehen?«
Ihre Antwort kam prompt:
»Keine Sorge, der ist total harmlos. Läuft immer im Bademantel herum. Hat er dir schon die Baustelle gezeigt? LOL«
Dann kam Otto in die Küche, in der er mich kurz einweisen wollte, daher hatte ich keine Chance mehr, zu fragen, was das mit der Baustelle auf sich hatte.
Alles in allem war die Wohnung sehr ärmlich. Alles wirkte irgendwie improvisiert. Eine Mischung aus Sperrmüll und IKEA aus den achtziger Jahren. Aber ich wollte nicht vorschnell urteilen. Ich hatte nämlich außer dem Flur und der Küche noch nichts vom Rest der Wohnung zu sehen bekommen. Alle Türen, die vom Flur aus in die anderen Räume führten, waren geschlossen. Otto nahm sich seine Tasse Kaffee, die auf dem Küchentisch stand.
»Willst du auch einen?«
Wenigstens hatte er Manieren, abgesehen von seiner eigenen Frottee-Peepshow, die keiner sehen wollte.
»Nein, vielen Dank. Also, Otto, was möchtest du denn alles in deiner Wohnung geputzt haben?«
»Ach, ich denke, das mit Putzen können wir erst mal hinten anstellen …«
Ich hatte es geahnt. Wieso hatte meine Schwester mir nicht gesagt, dass er nur auf das eine aus war? Dann hätte ich mir die Fahrt zu ihm gleich gespart.
Gerade wollte ich ansetzen und ihm sagen, dass ich keine Nutte sei, als er fortfuhr:
»… denn ich bräuchte deine handwerkliche Hilfe.«
Ich war gleichermaßen erleichtert und verdutzt.
»Handwerkliche Hilfe?«
»Ja, ach, komm einfach mal mit!«
Also folgte ich ihm raus aus der Küche, quer über den Flur bis zur letzten Tür, hinten links. Als er sie öffnete und wir in den großen Raum eintraten, ich denke, es handelte sich um sein Wohnzimmer, war mir klar, warum ich heute nicht putzen sollte. Das Zimmer war komplett leer. Das, worauf ich stand, fühlte sich zwar an wie ein Teppichboden, aber man konnte weder die Beschaffenheit noch die Farbe ausmachen, da alles notdürftig mit Plastikplanen abgedeckt war. Die Wände sahen grauenvoll aus. Ein ungefähr zwei mal drei Meter großer, dunkler Fleck bedeckte die Hauptwand an der rechten Seite. Ich tippte auf einen Wasserschaden katastrophalen Ausmaßes und lag mit meiner Vermutung richtig. Die restlichen Seiten waren gespickt mit vergilbten Tapetenresten, die teilweise in Fetzen bis zum Boden herunterhingen. Unwillkürlich begann ich, mich an Armen und Kopf zu kratzen, so eklig war mir diese Umgebung.
»Also, das hier ist mein Wohnzimmer. Ich dachte mir, ›Otto, hier muss mal frischer Wind rein‹, und da das Sozialamt mir für die Renovierung und für neue Möbel keinen Zuschuss geben wollte, mache ich es eben alleine.«
Ganz alleine wohl auch wieder nicht, dachte ich mir.
»Und was soll ich hier tun?«, fragte ich mal ganz naiv.
»Na ja, ich dachte, wir machen das Zimmer wieder schön …«
»Aber das ist eigentlich nicht mein Job. Und ich habe auch keine Erfahrung mit so was.«
»Ach bitte, Justyna, hilf mir. Deine Schwester hat das auch getan. Und ich habe doch sonst niemanden.«
Das, was er sagte, klang aufrichtig. Er schien wirklich niemanden zu haben. Irgendwie hatte ich Mitleid mit ihm. Das Leben und die Gesellschaft hatten es offensichtlich nicht gut mit ihm gemeint. Und mehr als einen Fingernagel würde ich mir dabei auch nicht abbrechen. Zumal es ja auch nur für ein paar Wochen war …
»Also gut. Was soll ich tun?«
Und so begannen wir unsere Renovierungsarbeiten. Zu Beginn sollte ich ihm einfach die alte Leiter halten, auf der er stand, um am oberen Ende des Wasserflecks an der Wand die Farbe abzukratzen und sie dann trockenzulegen.
Das klingt einfach, sagte ich mir und fixierte das verrostete Monstrum mit meinen Händen, auf dem er nun hochstieg. Doch da gab es ein Problem. Er stand nun genau über mir … Den Ausblick kann man sich bestimmt vorstellen …
Lange hielt ich das nicht aus. Dann sagte ich:
»Otto, ich bin leichter als du. Und
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