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Nicht lecker, aber Weltrekord

Nicht lecker, aber Weltrekord

Titel: Nicht lecker, aber Weltrekord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katinka Buddenkotte
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man Geld machen kann. Wenn man eine Schachtel Streichhölzer vor ihr auf den Boden fallen lässt, schüttelt sie nicht wirr den Kopf und summt: »Zweiundvierzig! Zweiundvierzig noch in der Schachtel. Zweiundvierzig Hölzer«, sondern eher etwas wie: »Hast du immer noch nicht aufgehört zu rauchen?«
    Jetzt allerdings redet sie sich in Rage, kein Dazwischenkommen möglich: »Und da widerspricht sich ja auch alles. ›Müßiggang ist aller Laster Anfang‹, aber dann wieder, ›Wer schläft, sündigt nicht!‹ Pah! Frühe Vögel fangen vielleicht Würmer, aber ich habe neulich diese Reportage über Eulen gesehen …«
    Ich lege den Hörer zur Seite und schalte auf Lautsprecher. Wenn meine Schwester über Tierfilme spricht, kommt sie davon nicht so schnell wieder los. Einmal hat sie mir die Handlung von »Ein Schweinchen namens Babe in der großen Stadt« nacherzählt. Da sie nicht der Typ ist, der Unterbrechungen duldet, legte ich den Hörer beiseite, um mich kurz meiner eigenen Realität zu widmen. Als ich wieder aus der Dusche zurückkam, waren die Viecher noch nicht mal in New York angekommen. Allerdings gab es am Schluss dieses Telefonates eine unangekündigte mündliche Prüfung, in der ich kläglich versagte, weil ich nicht wusste, wer den Hütehund synchronisiert hat. Ich wurde von meiner Schwester scharf gerügt und bekam die DVD zu Weihnachten geschenkt. Seitdem drücke ich die Lautsprechertaste, sobald meineSchwester die magischen Worte »Neulich im Fernsehen …« ausspricht. Wenn sie eine Reportage über Eulen gesehen hat, wird dieser Aufhänger unweigerlich in einen Monolog über die letzte Folge von »Tiere suchen ein Zuhause« münden.
    Ich kritzele etwas auf den Zettel, der für solche Fälle neben meinem Telefon liegt, und halte ihn so hoch, dass mein Freund von seinem Zimmer aus lesen kann: Bring mir ein Bier! Er nickt und tut wie geheißen.
    Meine Schwester plärrt: »Na ja, also, jedenfalls wollte ich dann dreißig Euro an die Bullterrier-Hilfe Nottuln spenden, wollte aber erst einmal mit denen telefonieren, um sicherzugehen, dass das Geld auch wirklich für das Spezialfutter für die Welpen verwendet wird, denn diesen einen alten, hässlichen Hund mit den komischen Augen wollte ich nun nicht auch noch mit durchziehen …«
    Ich schreibe einen weiteren Zettel an meinen Freund. Hast du Lust, mit mir nach Paris zu fahren? steht drauf. Er nickt begeistert und bucht einen Bustrip.
    Als wir aus Paris zurückkehren, hat meine Schwester einen kleinen Schritt für die Menschheit, aber einen großen Schritt für sich selbst gewagt. Statt über Welpen redet sie über Menschen oder zumindest fast. Während ich die Skulptur des Eiffelturms auf den Fernseher drapiere, höre ich, wie sie über die von ihr entdeckte Meta-Ebene in einem Shakin’-Stevens-Video doziert.
    Ein heikles Thema, da erwartet sie oft Diskussionsbeiträge von mir. Ich spurte an den Hörer und steige spontan ein: »Liebe Schwester, du glaubst also tatsächlich,dass Shakin’ Stevens in dem Video von You drive me Crazy im selben Haus herumläuft, um das Paul Young in Come back and stay herumschleicht?«
    Meine Schwester atmet aus, wahrscheinlich zum ersten Mal seit drei Tagen. »Nein«, haucht sie, »ich glaube es nicht, ich weiß es. Das Interessante ist aber doch, dass Shaky von oben nach unten durch das Haus geht, Paul aber von unten nach oben. Und was sagt uns das?«
    Ich zucke mit den Schultern. Wer mit meiner Schwester aufgewachsen ist, lernt relativ jung, was rhetorische Fragen sind, nämlich ihre.
    »Genau«, triumphiert meine Schwester, »während Shakin’ Stevens darüber mosert, dass seine Alte ihn verrückt macht, geht es abwärts. Paul Young hingegen hat begriffen, dass es ohne seine große Liebe nicht geht, und befindet sich auf dem richtigen Weg, nach oben, ha!«
    Was soll ich dazu sagen? Meine Schwester ist Lehrerin und lässt auch völlig skrupellos Abiturklausuren über den Song ›Paradise by the Dashboard Light‹ schreiben, mit Zusatzfragen wie: »Warum lieben wir alle Meat Loaf, obwohl er so fett ist?«
    »So ist das also«, murmele ich und merke, dass ich langsam müde werde. Ich sehe nur eine Möglichkeit, unser Gespräch zu beenden: »Schwesterlein, um noch mal auf die andere Sache zurückzukommen: Was hältst du eigentlich von dem Sprichwort ›Blut ist dicker als Wasser‹?«
    Meine Schwester zögert nicht lange: »Stimmt eindeutig, ist aber dementsprechend überflüssig. Sieht man ja schon beim Blutabnehmen.«

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