Nicht mehr tun, was andere wollen
Büchern laut vorlesen. (Und das war 1959 in den USA noch ganz schön peinlich!) Schließlich gab es noch eine dritte Gruppe, die eine leichtere Aufnahmeprüfung ablegen musste: Sie musste laut die Lexikondefinitionen von Begriffen vorlesen, die in weiterem Sinne mit Sex zu tun hatten. Nachdem die Frauen über Kopfhörer eine Gruppendiskussion mit angehört hatten, die sie für live hielten (in Wirklichkeit war sie vorher aufgezeichnet worden ), sollten sie angeben, was sie von der Gruppe hielten. Interessanterweise gingen die Beurteilungen stark auseinander. Diejenigen, die gefühlsmäßig nicht so viel hatten investieren müssen, sagten geradeheraus, dass die Diskussion wirklich todlangweilig war. Doch diejenigen, die der heiklen Aufnahmeprüfung unterzogen worden waren, verwarfen die Gruppe nicht so schnell. Im Gegenteil, die hielten das Gespräch für ergiebig und interessant und fanden auch die anderen Gruppenteilnehmer sympathischer.
Wie kommt es dazu? Die Antwort liegt abermals in der kognitiven Dissonanz. Die Leiter des Experiments hatten eine psychologische Inkonsequenz geschaffen, als nämlich die Frauen einen sehr hohen Preis (die peinliche Aufnahmeprüfung) für etwas zahlen mussten, was dieser Investition überhaupt nicht entsprach (eine staubtrockene Diskussion ). Die einzige Art, wie diese Frauen vor sich selbst rechtfertigen konnten, dass sie die Aufnahmeprüfung über sich hatten ergehen lassen, bestand darin, die Einstellung zur Gruppe zu ändern und die Diskussion für gewinnbringend zu erklären.
Dieser Mechanismus ist dafür verantwortlich, dass Initiationsrituale, Männlichkeitsriten, peinliche Aufnahmerituale in der Oberstufe und Erniedrigungen bei der militärischen Ausbildung das Zusammengehörigkeitsgefühl stärken, obwohl man doch eigentlich meinen sollte, dass das Gegenteil eintreten muss. Bei diesen Riten und Ritualen werden die Teilnehmer oft erniedrigenden und schmerzhaften Erlebnissen unterworfen, die überhaupt nichts mit der eigentlichen Funktion der Gruppe oder mit dem Willen zum Beitritt zu tun haben. Rein intuitiv könnte man meinen, dass die zukünftigen Mitglieder nach solchen Erlebnissen eher schlechter von der Gruppe denken müssten, nachdem sie sich z. B. ausziehen und nackt in einen Schneehaufen stellen mussten. Doch die Theorie von der kognitiven Dissonanz besagt, dass genau das Gegenteil eintritt. Das Wissen, dass man gerade etwas Schmerzhaftes, Demütigendes über sich hat ergehen lassen, wird ein » kognitives Element«. Die Erkenntnis, dass die Gruppe, die uns gerade mit diesem Ritus aufgenommen hat, eigentlich ziemlich unattraktiv ist, ist ein weiteres kognitives Element, allerdings ein dissonantes, das sich mit dem ersten nicht in Übereinstimmung bringen lässt. Wenn die Gruppe nun richtig mies ist, finden wir, dass wir kein solches Ritual über uns ergehen lassen sollten. Je ekliger die Initiation, umso größer die Dissonanz. Da uns jedoch andere dabei beobachtet haben, wie wir das schmerzliche Aufnahmeritual durchgemacht haben, haben wir diesen Ritus rein äußerlich gutgeheißen. Da bleibt nur eines: Wir müssen uns einreden, dass es die Sache wert war. Also bewerten wir die Gruppe gleich noch ein Stück höher, weil wir ja für sie leiden durften. Je mehr wir durchmachen müssen, umso besser gefällt uns die Gruppe– genau wie bei den Frauen, die über Sex reden sollten. Gerade diejenigen, die sich schwereren Prüfungen hatten unterziehen müssen, versicherten, dass die Gruppe ganz großartig sei. Das klingt jetzt vielleicht heillos bescheuert, aber so funktionieren wir eben. Wenn wir einer Gruppe angehören dürften, ohne etwas zu investieren, hätten wir uns vielleicht zurückgezogen, sobald wir gesehen hätten, dass das alles doch nicht so toll ist. Und der Club der Obercoolen hätte sich ganz schnell wieder aufgelöst.
In einer milderen Ausprägung hat dieses Phänomen für mich persönlich einen positiven Effekt. Es gibt kein dankbareres Publikum als das, das sich seine Karten selbst kaufen musste. Man könnte wieder annehmen, dass die Leute besonders kritisch sein müssten, wenn sie sowohl Zeit als auch Geld investiert haben, um dem guten alten Exhibitionisten Fexeus zuzusehen. Aber die Theorie der kognitiven Dissonanz besagt, dass das Gegenteil der Fall ist– gerade weil sie Zeit und Geld investiert haben, werden sie alles tun, um glauben zu können, dass es die Sache wert war. Wenn Sie einen Komiker im Fernsehen sehen, den Sie eigentlich gar nicht
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