Nicht mehr tun, was andere wollen
man das Problem in seinen richtigen Kontext setzt, es aus einer größeren Perspektive zu sehen versucht. Wir rennen uns meistens fest, wenn wir uns nur auf unsere Aufgabe konzentrieren und sie losgelöst von allem anderen betrachten, was rundherum passiert. Im Kapitel über die Verfügbarkeit werden Sie Beispiele für unsere Neigung lesen, immer nur die Alternativen in Betracht zu ziehen, die uns präsentiert werden, statt uns auch mal umzusehen, ob nicht aus einer ganz anderen Richtung noch eine Lösung kommen könnte.
Wenn Sie Ihre eigenen Schlüsse ziehen sollen, lassen Sie sich lustigerweise auch gern von Informationen beeinflussen, die Sie vorher bekommen haben, auch wenn diese für den Zusammenhang gar nicht wichtig sind. In Ihrer Antwort auf die Frage mit den Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen haben Sie wahrscheinlich irgendetwas zwischen 110 und 130 geschätzt (wenn Sie nicht schon wussten, wie viele Länder es sind ). Maximal 140. Die richtige Antwort lautet aber 192. Wenn Sie bedeutend niedriger geschätzt haben, wurde Ihre Schätzung wahrscheinlich von den Zahlen beeinflusst, die Sie gerade gelesen hatten, obwohl die ja mit der Frage an sich gar nichts zu tun hatten! Piattelli-Palmarini stellte ein ähnliches Experiment mit seinen Studenten an: Sie mussten raten, wie viele afrikanische Staaten zu den Vereinten Nationen gehörten– doch kurz vorher drehte er an einem Glücksrad, das mit der Sache an sich nichts zu tun hatte. Der Effekt war nicht zu übersehen: Wenn das Rad bei einer niedrigeren Zahl stehen blieb, waren auch die Schätzzahlen niedriger; war es eine höhere Zahl, stieg die vermutete Anzahl der Staaten.
Es sieht so aus, als würden wir uns gedanklich nur ungern von Informationen lösen, die wir bereits haben– auch wenn sie völlig irrelevant sind. Das ist einer der Gründe, warum der erste Eindruck von einem anderen Menschen so extrem wichtig ist. Die erste Begegnung ist das Glücksrad. Alles andere, was mit diesem Menschen zu tun hat, wird im Licht dieser ersten Information betrachtet, auch wenn die späteren Informationen dem ersten Eindruck widersprechen.
Ich als Beeinflusser weiß natürlich, dass Sie Wahrscheinlichkeit oft mit Erfahrung verwechseln. Ich weiß, dass Sie die Verhältnisse unterschiedlich beurteilen– wie im Beispiel mit dem Noro-Virus und den 100-Euro-Scheinen– je nachdem, ob Ihnen ein Gewinn oder ein Verlust zu winken scheint. Ich bin mir auch im Klaren über Ihre Unfähigkeit, andere Alternativen in Betracht zu ziehen als die, die ich Ihnen an die Hand gegeben habe. Ich lache über Ihre Tendenz, bei Ihren eigenen Überlegungen von Informationen auszugehen, die Sie bereits haben, Informationen, die ich Ihnen gegeben habe. Ein wunderbares Werkzeug, um Ihre Gedanken in bestimmte Bahnen zu lenken. Für mich als Beeinflusser kommt es wie gerufen, dass Sie Ihre Gefühle so oft über Ihre rationalen Überlegungen setzen. Und ich freue mich immer wieder, wenn Sie lieber in dem mentalen Pappkarton bleiben, den ich Ihnen vorgegeben habe. Ich selbst krieche natürlich auch immer wieder in solche Kartons. Ich bin genauso wenig immun gegen falsche Gedankengänge wie Sie. Doch allein das Wissen darum, wie wir funktionieren, ist ein prima Kartonschneider, den man sich für alle Fälle in die Hosentasche stecken kann. Wer weiß, vielleicht schaffen Sie es ja, sich am Ende doch aus Ihrem Karton herauszuschneiden.
Der Golfkrieg
Ich gebe Ihnen jetzt ein Beispiel dafür, wie man sich in der militärischen Propaganda unsere Tendenz zu Nutze gemacht hat, unsere Gedanken in den Bahnen verlaufen zu lassen, die man uns mit bestimmten Informationen vorgezeichnet hat– auch wenn wir sie zu kritisieren versuchen.
1991, im Golfkrieg, veröffentlichte die Bush-Regierung die Zahl der irakischen Zivilisten, die bei den amerikanischen Luftangriffen ums Leben gekommen waren. Die Zahlen waren immer niedrig, meistens zwei, drei oder zehn Todesopfer. Offenbar wirklich ein Krieg, der mit » chirurgischer Präzision« geführt wurde. Viele waren jedoch skeptisch angesichts dieser Zahlen, auch in den Vereinigten Staaten. Doch nicht einmal die kritischsten Stimmen mochten sich allzu weit von den Zahlen entfernen, die die Regierung bewusst vorgegeben hatte. Die Kritiker schätzten die Zahl der Todesopfer eher auf 100 oder vielleicht sogar 1000.
In Wirklichkeit handelte es sich aber um Zehntausende von Opfern. 1:0 für George W. Bush im Kampf um Ihr Gehirn.
Sie wissen (nicht), was Sie
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