Nicht menschlich Inc.
doch ich sah niemanden. Wunderbar, nun konnte ich durch den Telefonistenraum gehen. Die Gefahr, mich zu verlaufen, schrumpfte auf ein erträgliches Maß. Auf Zehenspitzen lief ich los. Am Ende des Ganges presste ich stilecht den Rücken an die Wand und lauschte. Auch Stacey hatte ihren Platz verlassen und saß an der Rezeption, ich hörte sie telefonieren. Aufatmend durchquerte ich den nächsten Gang und gelangte in das leere Großraumbüro. Hier blieb ich stehen und überlegte.
Mir blieben zwei Optionen. Wenn ich normal zur Tür hinausspazieren wollte, musste ich wohl oder übel an der Rezeption und somit an Stacey vorbei. Hier verzweigte sich die Linie meiner Möglichkeiten. Entweder, ihre Sippschaft hatte sie bereits über meine Rolle als Einbrecherin, Gefangene und Ausbrecherin informiert, was dazu führen könnte, dass Stacey mich nicht entkommen zu lassen wünschte, oder: Falls ich Glück hatte, und sie noch nichts von meinem Hausfriedensbruch wusste, bestand eine reelle Chance, das Gebäude ohne Wunden zu verlassen. Hier kam es auf meine Kaltschnäuzigkeit an. Entweder ich setzte auf die sportliche Variante, legte einen Sprint hin und hoffte, dass der Springer das Portal schnell genug öffnen würde oder ich log Stacey ins Gesicht, dass ich zu einem weiteren Auftrag müsste. Von dem hatte sie noch nichts erfahren, was ihre Laune in die Unterwelt treiben würde.
Die dritte Möglichkeit schien mir die sicherste zu sein: Ich stieg aus dem Fenster. Das Büro der Telefonisten war so groß, dass es gleich zwei besaß, vor denen ein Trittrost an der Hausmauer angebracht war, von dem aus eine schmale Feuerleiter in den Hof führte. Ich stellte mir vor, dass der Prokurist sie lieber zugemauert hätte, aber das wäre zulasten der Stromkosten gegangen. Eine Lampe reichte nicht für den gesamten Raum.
Am Boden vor dem Haus wuchs eine Barriere aus getrocknetem Gestrüpp, die ich durchqueren musste, aber was waren ein paar Kratzer schon im Vergleich zu anderen Dingen, die mir hier widerfahren konnten? Mein Entschluss war gefasst. Ich lauschte, aber Stacey telefonierte noch. Um den Prokuristen machte ich mir keine Sorgen, der verließ sein Büro entweder selten oder nie. Neil und Eric nagten sicherlich an den Kabeln meines nun verwaisten Computers und Desmond …
Ich verdrängte sein Gesicht aus meinen Gedanken, ehe ich in Schwermut verfiel. Desmond war ein Heuchler, ein Lügner und vielleicht sogar ein Spion. Bei diesem Gedanken ballte ich die Hände zu Fäusten – und stieß mit der rechten auf Widerstand. Verdammt, den Springer hatte ich beinahe vergessen. Der Ekel war wieder da, auch das Stimmchen in meinem Kopf, das unablässig »Lass los, lass los« kreischte. Entschlossen eilte ich zum Fenster, schob eines der hellgrauen Rollos zur Seite und angelte nach dem Griff. Dass ich dafür halb auf die Fensterbank klettern musste, machte es nicht leicht, wenn ich den Springer zerquetschte, kam ich nicht zurück nach Camlen. Vorsichtig legte ich ein Knie auf die Fensterbank und zog mich hoch.
»Halt!«
Die Stimme erklang hinter mir. Ich gefror. Dann versuchte ich, von der Fensterbank zu rutschen, verlor den Springer, schlingerte und knallte mit dem Rücken auf den Boden. Zunächst blieb mir die Luft weg, dann machte ich mich hastig daran, mich aufzurappeln. Dabei schielte ich nach dem Springer. Er war weg.
Etwas Rotes schob sich in mein Sichtfeld.
Ich beäugte die Frau, die mit in die Hüften gestemmten Fäusten vor mir stand. Das Lockennest auf ihrem Kopf war unverwechselbar. Die Mutter des Prokuristen.
Ich runzelte die Stirn. Meine Gedanken zerrten energisch in eine bestimmte Richtung, doch ich konnte ihnen nicht folgen. Ein seltsames Gefühl.
Unter dem Blick der eisgrauen Augen fühlte ich mich paradoxerweise schuldig. Mit ihrer stämmigen Figur, den leicht hängenden Wangen und der gerunzelten Stirn glich die Frau einmal mehr einer Bulldogge.
Ein Hoffnungsschimmer durchflutete mich. Vielleicht hatte sie von Weitem nur meine Silhouette gesehen und vermutete, dass ich nicht nach draußen gewollt, sondern von dort eingestiegen war. Das Missverständnis musste ich einfach aufklären, um dann den Springer zu suchen und so flüchten. So nah vor dem Ziel!
»Guten Tag«, grüßte ich freundlich und unterdrückte das Zittern in meiner Stimme. »Ich habe rasch das Fenster geschlossen, es hat geklappert.«
Keine Regung. Ich schwitzte und suchte unauffällig nach dem Springer. Hoffentlich hatte die Prokuristenmutter ihn
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