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Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
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beschäftigt.«, entgegnete Agnes, was ich bestätigte. Ich musste ihr erzählen, was für Spielsachen ich gemacht hatte. Sie würde ihrer Enkelin gerne eine Stoffpuppe zum Geburtstag schenken, müsse aber zuvor ihre Tochter fragen, welche Figur es sein sollte. Ich wusste die ganze Zeit, dass ihr Geplauder nur Tarnung war, aber wann würde sie mir endlich sagen, ob sie Raffi helfen konnte?
    Es kam mir alles so unwirklich vor, wie in einem Film. Der Gedanke an Tarnung ließ mich unwillkürlich an Karl in Nordafrika denken, und da wünschte ich mir, er würde noch leben. Warum hatten sie ihn nicht einfach gefangen genommen wie Papa, warum bloß?
    Mein Mund war trocken. Ich trank noch ein wenig Getreidekaffee; er schmeckte, als wäre er aus verbranntem Toast gemacht. Agnes Hummel erzählte von einer gewissen Dorothea. Ich spielte meine Rolle perfekt und tat so, als würde ich diese Frau kennen und mich brennend dafür interessieren, dass sie nach Potsdam zu ihrer Schwester gezogen war.
    »Und ihr wohnt immer noch in der gleichen Wohnung«, sagte sie, als wolle sie sich vergewissern. »Das ist gut.«
    Schließlich erhob sie sich und sagte: »Also, ich muss jetzt nach Hause. Es war so schön, dich zu sehen. Sehr schade, dass deine Mutter keine Zeit hatte zu kommen.«
    Auch ich stand auf, verzweifelt, weil sich nichts ergeben hatte. Vielleicht hatte sie doch keinen Unterschlupf für Raffi gefunden. Ich stieß an den Stuhl meines Nachbarn, und er murmelte irgendetwas davon, dass die ewigen Luftangriffe schon schlimm genug seien, aber jetzt könne man nicht einmal mehr in einem Café sitzen und seinen scheußlichen Kuchen essen, ohne dass man angerempelt wurde.
    Agnes Hummel kramte in ihrer Einkaufstasche herum. »Fast hätte ich es vergessen. Hier ist ein Weihnachtsgeschenk für euch beide.«
    Sie reichte mir ein Päckchen, das aussah, als enthalte es ein schmales Büchlein. Es war in roten Stoff gewickelt und mit einem Bastband verschnürt.
    »Es ist leider nur eine Kleinigkeit«, sagte sie. »Mach es erst zu Hause auf.« Sie sah mir fest in die Augen. Mir war klar, dass der Inhalt des Pakets etwas mir Raffi zu tun hatte. Ich steckte es in die Manteltasche und verließ mit ihr das Café. Draußen umarmte sie mich und flüsterte mir ins Ohr: »Am sechsundzwanzigsten gegen fünf Uhr bekommt ihr Besuch von einer Frau. Dein Freund soll sich bereithalten, mit ihr mitzugehen. Sie wird einen Vers aus diesem Theaterstück zitieren. Seite hundertsechzehn. Radiere die Bleistiftmarkierung aus, nachdem du die Zeile gelesen hast.« Dann löste sie sich von mir und gab mir ein Küsschen auf die Backe. »Mach dir keine Sorgen, meine Liebe«, sagte. »Wir leben in schlimmen Zeiten, aber wir werden am Ende siegen, da bin ich ganz sicher.«
    Es klang wie eine patriotische Durchhalteparole, doch ich wusste, wie es gemeint war.
    Als ich zurückkam, war Mama oben. Wir öffneten das Paket in Raffis Zimmer. Es enthielt eine Taschenbuchausgabe von Schillers Don Carlos . Ich schlug das Büchlein auf und blätterte es durch.
    »Ich weiß schon, welche Zeile es sein wird«, sagte Raffi. »Wir haben das Stück in der Schule durchgenommen. Hast du die Seite? Gut. Es ist der Marquis von Posa, der den spanischen König auffordert, seinen Untertanen Gedankenfreiheit zu geben. Stimmt’s?«
    Triumphierend begegnete er meinem Blick. »Ja«, sagte ich. Der Triumph in seinen Augen erlosch.
    »Ich möchte dich nicht verlassen«, sagte er. »Ich weiß, dass es sein muss, aber …«
    Mama ging hinaus und ließ uns allein. Nach einer Weile sagte er: »Wenigstens können wir noch zusammen Weihnachten feiern.«
    In jener Nacht gab es wieder einen Luftangriff, aber keinen schlimmen. Und dann war Heiligabend.
    Als ich zum Schlachter kam – dieses Mal in Begleitung von Mama, weil wir nicht nur die Lebensmittel, sondern auch noch den Weihnachtsbaum nach Hause tragen mussten –, rief Herr Gross sofort seine Frau, und sie präsentierte sich uns in ihrem Kleid aus der Seide, die ich bei ihrem Mann gegen Fleisch eingetauscht hatte. Ihr rotes Gesicht leuchtete wie die Abendsonne. Nachdem Mama und ich das Kleid bewundert hatten, förderte Herr Gross eine Gans für uns zutage – markenfrei – und dazu einen Karpfen für Heiligabend. Ich konnte es kaum fassen.
    »Frau Gross ist unverkennbar eine Schlachtersfrau«, bemerkte Mama später, als sie schniefend eine Zwiebel schälte, »so wie sie das Kleid verpfuscht hat.«
    »Sie war doch hochzufrieden damit«, wandte ich

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