Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nicht ohne dich

Nicht ohne dich

Titel: Nicht ohne dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boje Verlag
Vom Netzwerk:
an die Brust gedrückt, nahm ich vom Tisch vier Stückchen Schokolade, eine Scheibe von Tante Gretes Schinken und meine Taschenlampe. Nachdem ich alles in der rechten Tasche verstaut hatte, ergriff ich mit der rechten Hand die Wasserflasche und ging wieder hinunter. Die Hintertür der Werkstatt zu öffnen, ohne etwas fallen zu lassen, war schwierig, aber ich schaffte es.
    »Raffi«, flüsterte ich.
    Er hob den Kopf und sah mich an. Er kauerte in einer Ecke des Lagerraums, das Gesicht immer noch schmutzig, die Augen gerötet. Seine Haare waren schrecklich zerzaust, so als hätte er sie sich stundenlang gerauft.
    Ich stellte das Essen auf dem Boden ab und kroch zu ihm hinein. Viel Platz war da nicht, aber das Versteck war immerhin so lang, dass er sich in der vergangenen Nacht hätte hinlegen können – ob er das wohl getan hatte? Er wirkte, als hätte er sich seit Stunden nicht gerührt. Ich kauerte mich neben ihn und versuchte ihn zu umarmen, aber er wurde ganz steif und wehrte mich ab.
    »Raffi?«, flüsterte ich erneut.
    »Hier«, sagte er und deutete auf den Nachttopf. »Den musst du wegbringen.«
    Ich erschauderte, doch dann fiel mir ein, wie sehr er darauf gewartet haben musste, das Ding loszuwerden. Ich nahm ihn mit und erledigte das mit dem Eimer, dann kam ich zurück und versuchte es noch einmal. Dabei dachte ich: Er wird schon noch erlauben, dass ich ihn tröste.
    »Ich habe dir dein Abendessen gebracht, und hier ist ein Löffel dazu, und ein bisschen Schinken gibt es auch, Raffi, und Schokolade …«
    »Ich will keine Schokolade«, sagte er. »Die habe ich nicht verdient.«
    »Doch, hast du wohl«, widersprach ich. »Raffi, ich liebe dich.«
    »Es tut mir leid, Jenny«, entgegnete er. »Ich – ich kann nicht – jetzt ist alles anders.«
    Ich fühlte mich plötzlich ganz leer.
    »Ich weiß, wie großartig es von dir und Tante Sylvia ist, dass ihr mich hier versteckt – aber ich will zu Mama.«
    »Raffi, sie will das nicht. Und überhaupt, vielleicht – vielleicht ist sie schon fort.«
    »Ich habe sie im Stich gelassen.«
    »Nein«, zischte ich. Ich konnte nicht glauben, was er da von sich gab. »Du hast sie nicht im Stich gelassen. Ich hab dir schon gesagt, sie war froh, als sie hörte, dass du bei uns bist. Ich musste Mama von ihr bestellen, dass sie auf dich aufpassen soll.«
    Er antwortete nicht. Ich sagte: »Hast du heute das Licht angehabt?«
    »Nein«, antwortete er.
    »Willst du Licht?«
    Er blickte zu Boden. »Ich glaube schon.«
    Mama würde also morgen noch einmal nach dem Lüftungsgitter sehen müssen. Aus meiner Kehle wollte ein Heulen aufsteigen, doch ich schluckte es gewaltsam hinunter. »Hast du heute schon was gegessen, Raffi?«
    »Ein bisschen was«, sagte er. »Die Schokolade nicht. Die kannst du wieder mitnehmen.«
    »Nein. Vielleicht magst du sie später. Hör mal« – ich zwang mich weiterzusprechen –, »mach morgen das Licht an, wenn man es dann nicht sieht, kannst du lesen. Karl hat ein Buch über Architektur …«
    »Vielleicht«, meinte er mit matter Stimme. »Und jetzt gehst du besser, was? Ist gefährlich, die Tür so lange offen zu lassen.«
    Ich schaffte es, die Tränen zurückzuhalten, bis ich wieder in der Küche war. Mama stand wartend da mit Muffi, die mir die Hand lecken wollte, aber ich rannte in mein Zimmer und warf mich aufs Bett.
    Mama kam mir nach und legte eine Hand auf meine Schulter. »Jenny«, sagte sie beunruhigt, »alles in Ordnung mit Raffi?«
    Ich rollte mich herum und sah sie an. »Er will mich nicht. Er liebt mich nicht mehr.«
    »Ach Jenny«, seufzte sie. Dann schloss sie mich in die Arme. »Ach, mein Liebling, was immer er auch gesagt hat, nimm es dir nicht zu Herzen. Er dreht fast durch vor Schmerz, und das ist nicht verwunderlich. Stell dir nur vor, was er durchgemacht hat …«
    Sie strich mir übers Haar. Ich wusste, wie gern sie mir geholfen hätte, aber das konnte sie nicht.

Kapitel Dreizehn
    A m Montag musste ich in die Schule. Während ich dasaß und mir anhörte, wie die Emmerich, unsere Geschichtslehrerin, über die alten Germanen schwadronierte, war ich mit meinen Gedanken bei Raffi. Er hatte sich am Waschbecken in der Werkstatttoilette gewaschen und ein paar alte Kleider von Karl angezogen, die Mama in ihrem Flickkorb hinuntergeschmuggelt hatte – also war er jetzt wenigstens den Gaswerkgeruch los. Ich nahm es als gutes Zeichen. Mama hatte ihm außerdem Karls Architekturbuch gebracht, und er hatte versprochen, die Lampe

Weitere Kostenlose Bücher