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Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition)

Titel: Nicht ohne meine Mutter: Mein Vater entführte mich als ich ein Jahr alt war. Die Geschichte meiner Befreiung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meral Al-Mer
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in Viersen. Und nicht nur mir, sondern auch meinem Bruder. So lange hatte ich auf ihn aufgepasst; nun war es, als müsste ich selbst meine Kindheit nachholen, denn all das, was ein Kind ausmacht, das war mir ja nie erlaubt gewesen. Ich hatte nie die Chance gehabt, zu Hause trotzig und frech zu sein, ungezogen und aggressiv. Zeigte ich im Ansatz ein solches Verhalten, wurde ich windelweich geprügelt. So war ich immer ein unglaublich vernünftiges Mädchen gewesen, das Elke schon viel zu früh als ebenbürtige Freundin behandelt hatte, bei der sie sich sogar oft Rat einholte und von der sie selbst manchmal sagte: »Du liebe Zeit, Meral, sei doch nicht immer so vernünftig.«
    Jetzt war ich nicht mehr vernünftig und wollte es auch nicht mehr sein. Ich wollte nicht mehr Elke eine gute Freundin und meinen jüngeren Geschwistern eine Mutter sein. War ich früher nicht trotzig, frech oder aggressiv, dann war ich es jetzt, und zwar nicht nur in der Schule, sondern auch Elke gegenüber. Ich ließ mir nichts mehr sagen, hatte immer das letzte Wort, wollte meine Freiheit ausleben bis zum Exzess und vergaß darüber, dass da andere waren, die mich vielleicht gebraucht hätten. Mourad zum Beispiel, der inzwischen ätzende vierzehn Jahre alt geworden war und mit dem ich nur Streit hatte. Und so gingen wir uns aus dem Weg.
    So kam es, dass ich eines Tages nach Hause kam und erfuhr, dass Mourad beschlossen hatte, zu unserem Vater zu ziehen. Ausgerechnet Mourad, der mit meinem Vater nie ein gutes Verhältnis gehabt hatte, von ihm grenzenlos gedemütigt und geschlagen worden war! Irgendetwas war geschehen zwischen Elke und ihm, und als ich versuchte herauszufinden, was eigentlich passiert war, stieß ich auf zwei völlig unterschiedliche, wirr klingende Geschichten. Tatsache war, dass Mourad mit seinen vierzehn Jahren kein Kind mehr war, und Elke mit ihm nicht mehr fertig wurde. Er war ja nicht ihr eigener Sohn, und auf einmal hatte sie einen hoch aufschießenden, pubertierenden jungen Mann in ihrem Haushalt. Was auch immer geschehen sein mochte, beide waren der Meinung, dass sie nicht mehr länger unter einem Dach leben sollten. Und so hatte Mourad seine Entscheidung getroffen.
    Inzwischen war unser Reihenhaus längst verkauft, und mein Vater war in das Haus gezogen, das die Geschwister Al-Mer sich von dem Erbe der Oma Halima gekauft hatten, von dem Geld, das sie jahrelang abgezweigt, in ihrem BH versteckt und in einer Kiste unter ihrem Bett gehortet hatte. Hier wohnten alle Brüder meines Vaters. Mit Ausnahme von Onkel Momo, der Tina, eine Freundin von Elke, geheiratet hatte, waren sie noch ledig. Das Haus hatte drei Etagen, und hier wohnte nun also Mourad mit unserem Vater in einer Art Junggesellenwohnung. So sehr ich mit mir selbst beschäftigt war in dieser Zeit, so sehr bedauerte ich die Entscheidung meines Bruders, und noch heute denke ich, dass dies niemals geschehen wäre, hätte ich nicht während unserer Zeit in Viersen Mourad dazu überredet, seine kategorische Ablehnung unseres Vaters aufzugeben und hin und wieder mit ihm zu reden.
    Mein Vater war aber noch lange nicht zufrieden. Er wollte auch Meli »zurückhaben«, und so ging der Terror gegen Elke ungebrochen weiter. Bis ein Jahr später auch Meli unter dem steten Druck und Gezerre zwischen Hamid und Elke nachgab. Sie war zehn Jahre alt, als sie entschied: »Ich will mich nicht zwischen meiner Mutter und meinem Vater entscheiden müssen. Dann gehe ich lieber ins Heim.«
    Nicht lange, nachdem Mourad zu meinem Vater gezogen war, geschah etwas, das meinem Leben wieder einmal eine neue Wendung geben sollte: Uns schräg gegenüber wohnte ein junger Mann Anfang zwanzig, mit dem ich mich ein bisschen angefreundet hatte. Behzad hatte lange, coole Dreadlocks, spielte in seiner Freizeit Bass, kam aus dem Iran wie mein alter Freund Ramesh und studierte Jura. Er bot sich an, mir bei Mathe zu helfen, dem Fach, in dem ich Schwierigkeiten hatte.
    Nach der Sache mit Ramesh hatte ich etwas Wichtiges gelernt: Ich musste dafür sorgen, dass die Jungs, mit denen ich mich in der Öffentlichkeit sehen ließ, über die Gefahr Bescheid wussten, die von meinem Vater ausging. Nie werde ich die unsägliche Überraschung in Rameshs Gesicht vergessen, der gerne meinen Vater kennengelernt hätte, als dieser ihm stattdessen direkt ins Gesicht schlug. Es war besser, meine Begleiter waren auf eine solche Begegnung vorbereitet, dann konnten sie selbst entscheiden, ob sie das Risiko eingingen, sich

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