Nicht ohne meinen Mops
Hingebungsvoll schrubbt er unter dem Beckenrand, schüttelt die Bürsten aus und stellt sie zurück in den Becher.
»Gibt das dann Zahnstein? Oder Urinstein?« Chris gackert. Ich habe Skrupel, als ich die Zahnbürsten stehen sehe. Aber nur sehr kleine Skrupel – denn direkt neben dem Becher steht knallroter Nagellack. Von Melanie. Ich schraube den Deckel vom Lack halb auf und lege das Fläschchen hin. Der erste Tropfen fällt ins Waschbecken, als ich die Badezimmertür schließe.
»Ab in die Küche!« Chris ist kaum zu bremsen.
»Kannst du dir vorstellen, dass ich hier Stunde um Stunde gestanden habe, um dem Herrn ein Mahl zuzubereiten?« Ich lehne mich an den Herd. Meinen Ex-Herd. Den ich stets mit teurem Spezialmittel auf Hochglanz getrimmt hatte. Jetzt sehe ich tiefe Kratzer auf dem Ceranfeld und angebrannte Essensreste rings um die Kochfelder.
»Das geht ja gar nicht«, sagt Chris. Mit traurigem Gesicht macht er sich daran, die drei vertrockneten, krüppeligen Kräutertöpfchen vom Fensterbrett zu wässern. Ich kenne die Prozedur aus unserer Küche: Mit einem Badethermometer aus der Babyabteilung (das Chris jetzt aber nicht dabei hat) wird die optimale Wassertemperatur von 32 Grad ins Spülbecken gelassen. Dann setzt unser Hausflorist die Töpfchen so sachte ins Wasser, als wären sie neugeborene Menschenkinder. Er schwenkt sie sanft hin und her, bis der Topf sich so weit vollgesogen hat, dass er nicht mehr schräg schwimmt, sondern stehen bleibt. Dann bleiben die Kräuter für exakt sieben Minuten im Wasserbad.
Die sieben Minuten stellt Chris mit der einst chromglänzenden Eieruhr ein, die jetzt von einer Staub- und Fettschicht überzogen ist. In der Zwischenzeit habe ich Mission Zucker gegen Salz erfüllt: Marc und ich hatten ein kleines Vermögen bei IKEA in Ludwigsburg ausgegeben, um 20 identische Aromabehälter in Chromoptik zu erstehen. Marc hatte die Etiketten am PC entworfen, damit sich Pfeffer und Majoran, gerebelter Basilikum und Curry auf dem offenen Regal sehen lassen können. Ich freue mich darüber, den werdenden Eltern einen versalzenen Kaffee und ein gezuckertes Schnitzel zu bescheren.
Als Chris die sterbenskranken Kräuter wieder auf die Fensterbank stellt, habe ich die pervers teuren Lavazza-Kaffeebohnen gegen entkoffeinierte Billigböhnchen von Aldi ausgetauscht. Marc kommt morgens ohne kräftigen Koffeinschub nicht in die Puschen. Seine Augenlider heben sich beim Aufstehen zwar auf Halbmast, ganz geöffnet sind sie aber erst nach der zweiten Tasse Kaffee. Nun, morgen wird er die Welt wohl nur zur Hälfte sehen …
Chris beginnt damit, die enormen Magerquarkvorräte aus dem Kühlschrank zu fischen. Wir haben Frau Otto versprochen, ihr ausreichend Quark für drei Käsekuchen mitzubringen und Hildchen war begeistert, dass sie für uns backen darf. Hilde wird also Quark für eine ganze Kompanie bekommen.
Ich reiche Chris die lauwarmen Quarkbecher aus dem Rucksack. Seit Freitag standen sie auf dem Balkon in der Sonne. Bei den meisten wölbt sich der Deckel und zwei sehen so aus, als sei es nur eine Frage von Sekunden, bis sie explodieren.
»Möge der Gott des schwangeren Heißhungers Melanie gnädig sein«, betet Chris mit theatralisch erhobenen Händen. Rolf gibt von der Bushaltestelle weiterhin grünes Licht.
»Amen«, sage ich und mache mich auf den Weg ins Schlafzimmer. Mein Herz pocht, als sei ich eben einen Marathon gelaufen (was ich mangels Kondition und angesichts zu vieler Zigaretten nie schaffen würde). Vor mir steigt wieder das Bild auf … Melanies gespreizte Knie, Marcs nackter Hintern … ich schlucke trocken. Chris nimmt mich in den Arm und am liebsten würde ich jetzt heulen.
»Jetzt wird nicht geflennt«, sagt Chris und macht die Tür auf.
»Wie schön!«, ruft er.
»Wie kitschig!«, rufe ich. Das Zimmer, dereinst ein minimalistischer Ort der Rekreation, angelehnt an japanische Räume, hat sich in eine Plüschorgie verwandelt. Über dem Futon hängt ein zartblauer Betthimmel aus Organzastoff. Neben dem japanischen Hochzeitsschrank (für fast 3.000 € importiert) steht ein bunt bemalter Bauernschrank in Sissi-Optik. An der Wand hängt ein mächtiger Spiegel im Goldrahmen und auf den geblümten Kissen thronen drei Teddybären mit hellblauen Schleifchen um die Fellhälse.
»Das kannst du jetzt aber nicht wirklich schön finden?«, entrüste ich mich.
Chris schaut mich pikiert an. »Na ja, der Futon passt überhaupt nicht«, sagt er schließlich. Ich sage nichts mehr
Weitere Kostenlose Bücher