Nicht ohne Risiko (German Edition)
Die Hände immernoch fest um ihre Schultern gelegt, schaute er ihr tief in die blauen Augen, sodass er darin förmlich versank, ja, ertrank. „Bitte“, flüsterte er heiser. Aber worum bat er eigentlich? Bitte geh nicht? Oder: Bitte küss mich?
„Jim, ich pack das“, wiederholte sie.
Na toll. Da versuchte er sie zu beruhigen, und was kam dabei heraus? Sie beruhigte ihn.
Jim tat das Einzige, was ihm unter diesen Umständen einfiel: Er küsste sie.
Es war bemerkenswert. Im einen Augenblick schaute er Emily in die tiefblauen Augen, im nächsten umklammerten sie einander so fest, dass es keinen Zweifel mehr an dem Feuer geben konnte, das immer noch unvermindert zwischen ihnen loderte. Sie erlebten eine Explosion des Verlangens, wie eine chemische Reaktion zwischen zwei sehr flüchtigen Substanzen, die zu lange getrennt gelagert worden waren.
Jim hörte sich aufstöhnen, als er sie noch einmal küsste. Sie schmeckte süß, unglaublich süß, und sie klammerte sich an ihn, erwiderte seine Küsse geradezu verzweifelt. Ihr Körper drückte sich weich an ihn, er spürte ihren Herzschlag, und jeder einzelne Schlag war wie ein Echo seines hämmernden Pulses.
Und dann klingelte es an der Tür.
Schuldbewusst löste Emily sich von ihm, die Augen weit aufgerissen, die Wangen heftig gerötet. Sie starrte ihn an.
„Geh nicht.“ Es war keine Bitte, sondern ein Befehl, aber seine Stimme gehorchte ihm nicht richtig. Nur ein Flüstern kam ihm über die Lippen, sodass die Worte eher wie ein Flehen klangen.
Emilys Augen füllten sich mit Tränen. Geh nicht. Aber sie musste gehen. Sie bückte sich und hob ihre Handtasche auf, die zu Boden gefallen war. Sie hatte Angst zu gehen, abernoch viel mehr Angst zu bleiben. Also drehte sie sich um und öffnete die Tür.
Alex bemerkte ganz sicher, dass sie nur mühsam die Tränen zurückhielt, und auch Jims verkniffener Gesichtsausdruck entging ihm gewiss nicht. Aber er enthielt sich höflich jeden Kommentars. Jedenfalls bis zu dem Moment, in dem er ihr beim Einsteigen in seine Limousine half.
„Schon merkwürdig, nicht wahr? Da kann man jahrelang von einem Bruder oder einer Schwester getrennt sein, aber wenn man sich wiedersieht, stellt man fest, dass sich nichts geändert hat.“ Emily hätte ihm so viel Einfühlungsvermögen gar nicht zugetraut. „Alles ist genauso, wie es immer war. Als ob man einfach an dem Punkt weitermacht, an dem man sich getrennt hat, und plötzlich steckt man wieder in den alten Problemen, Gefühlen und Streitereien.“
Emily murmelte Zustimmung.
Alex griff nach ihrer Hand und drückte sie leicht. „Dieser Abend wird dir guttun“, meinte er lächelnd. „Du brauchst ein bisschen Zeit ohne ihn, ein bisschen Abstand.“ Zeit ohne ihn. Ohne Dan, der in Wirklichkeit Jim war.
Alex hatte keine Ahnung, wie recht er doch hatte.
Jim sah Delmores Limousine nach und wählte zugleich Felipes Handynummer.
Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Wo zum Teufel steckte der Mann? Konnte es sein, dass er gar nicht in seinem Auto saß? Wenn er nicht in seinem Auto saß, konnte er Delmore und Emily nicht folgen. Wie sollten sie dann feststellen, wohin die beiden zum Essen fuhren? Wie sollten sie …
Nach dem fünften Klingelton nahm Salazar das Gespräch endlich entgegen. „Hola.“
„Verdammt, geh ran, wenn das blöde Handy klingelt“, fauchte Jim ihn an.
„Ah, hallo, Diego. Mir geht es gut. Und dir?“, antwortete Salazar in aller Ruhe.
„Folgst du Delmore?“
„Ja, aber es wäre viel einfacher, wenn das ‚blöde Handy‘ mich nicht dabei stören würde. Die Limousine ist links abgebogen, und der Gegenverkehr war verdammt dicht. Ich hatte die Wahl, mich entweder aufs Autofahren zu konzentrieren und Delmore zu folgen oder den Anschluss zu verlieren und den Anruf entgegenzunehmen. Also habe ich mich entschieden, es klingeln zu lassen.“
„Tut mir leid. Ich bin einfach …“ Jim atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder aus seinen Lungen entweichen. „Verlier sie nicht, Felipe“, bat er leise.
„Du weißt, dass ich das nicht tun werde.“
„Wenn sie ihr Ziel erreicht haben, folge ihnen in das Restaurant. Emily soll sehen, dass du da bist. Sie war sehr nervös. Hatte Angst, allein mit Delmore zu sein.“
„Verstehe“, antwortete Salazar. „Ich ruf dich vom Restaurant aus an.“
„Danke.“
„Bis später.“ Damit war das Gespräch beendet.
Jim legte langsam den Hörer auf. In der Wohnung war es still. Erdrückend still. Er begann,
Weitere Kostenlose Bücher