Nicht schießen, Johnny!
und überlegte fieberhaft, was er nun machen sollte. Der Ausflug, von dem er sich die Lösung all seiner Probleme versprochen hatte, sah mit einemmal ganz anders aus; erschrocken erkannte er, daß er sich immer weiter von der Geborgenheit seines Zuhauses entfernte. Er hatte vorgehabt, seine Mutter zu fragen, ob die Cops alle weg seien; hätte sie ja gesagt, dann hätte er auf sein Abenteuer verzichtet und wäre umgekehrt, weil er es einfach nicht länger ohne sie aushielt. Jetzt konnte er das nicht mehr; wenn die Cops ihn fanden, würden sie ihn totschießen.
Wie er so mutterseelenallein dastand, kam er allmählich wieder zur Vernunft. Er sagte sich, daß ihn die Cops bestimmt nicht auf der Stelle totschießen würden; aber er würde sicher ganz fürchterlich bestraft werden. Sie waren ja schon wütend gewesen bei dem Strafzettel seines Vaters, und das, was er getan hatte, war noch viel schlimmer.
Er klammerte sich schließlich an einen Gedanken: er konnte Tom Satriano noch immer um Hilfe bitten. Mr. Satriano wohnte wie alle Angels in Anaheim und würde daher von der bösen Sache in Pasadena nichts gehört haben. Sein kostbarer Brief würde ihm alle Türen öffnen. Wenn er erst einmal vor Tom stand, würde er ihm seine Sorgen anvertrauen, und Tom, der berühmte Fänger, würde natürlich einen Ausweg wissen.
Johnny faßte wieder Mut. Der Plan war gut; nun kam es vor allem darauf an, daß ihm niemand einen Strich durch die Rechnung machte. Er beobachtete die Passanten und wandte sich mit seiner Frage nach der Busstation an einen Halbwüchsigen, der es offenbar sehr eilig hatte und ihm bestimmt keine ungemütlichen Fragen stellen würde. »Ecke Fifth und Hauptstraße«, antwortete der Junge, ohne stehenzubleiben, und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.
Erleichtert trabte Johnny los. Niemand beachtete ihn; es waren zu viele Leute auf der Straße. Er fand die Busstation auf Anhieb und schlenderte in gutgespielter Unbefangenheit zum Schalter hinüber. Er schob einen Dollar unter dem Gitter hindurch und sagte: »Disneyland.«
»Hin und zurück?« Der Mann sah ihn komisch an.
Johnny ließ sich nicht verblüffen. »Nein, bloß einfach. Ich treffe mich dort mit meinem Dad.« Seine Antwort schien dem Fahrkartenverkäufer einzuleuchten, aber der Dollar reichte nicht ganz. Mannhaft fischte Johnny noch ein paar Münzen aus der Hosentasche. Er war auf dem Weg zu den Angels, und diese Aussicht stählte ihn gegen die Seelenpein, mit der er seine schmalen Ersparnisse dahinschmelzen sah.
Ein Polizeibeamter in Zivil, der zur Polizei von Los Angeles gehörte, stand fünf Meter entfernt und beobachtete, wie Johnny seinen Fahrschein entgegennahm; er fand, daß der Junge eigentlich noch zu klein sei, um auf eigene Faust loszuziehen. Natürlich war er über den Schußunfall in Pasadena im Bilde, aber das einzige Erkennungsmerkmal, an das er sich halten konnte, war eine abgetragene rote Jacke. Deshalb brachte er den kleinen Kerl, der sich gerade einen Fahrschein kaufte, nicht mit dem Jungen in Verbindung, den die Polizei von Pasadena so fieberhaft suchte. Sein flüchtiges Interesse beruhte auf der Annahme, daß es sich womöglich um einen Ausreißer handelte.
Johnny blickte sich in der Wartehalle um und überlegte, wo er am besten warten könnte, ohne aufzufallen. Als er eine große Gruppe von Kindern seines Alters erspähte, wußte er sofort, was er zu tun hatte. Er ging, nicht zu schnell, auf sie zu und setzte sich ans Ende einer langen Reihe. »Hallo«, sagte er zu seinem gleichaltrigen Nachbarn.
»Hallo. Gehst du auch ins Disneyland?«
»Klar.« Johnny rutschte auf der Bank zurück und gab sich den Anschein, als gehörte er zu der Gruppe.
Der Polizeibeamte war befriedigt. Er hatte das kurze Gespräch bemerkt und hielt die beiden Kinder für Schulkameraden, die an einem Ausflug teilnahmen. Als der Bus kam, schloß sich Johnny der Gruppe an. Er spielte seine Rolle so gut, daß der Beamte nicht den mindesten Verdacht schöpfte. Die Tatsache, daß der Kleine offenbar ein Lunchpaket bei sich hatte, überzeugte den Beamten vollends.
Als der Bus anfuhr, hatte Johnny ein wundervolles Gefühl neugewonnener Freiheit. Der schwierigste Teil seines Abenteuers lag hinter ihm. Nun brauchte er nichts mehr zu tun als stillzusitzen und sich nach Anaheim bringen zu lassen.
Währenddessen wuchs die Anspannung und Erregung im Heim seiner Eltern. Zehn Minuten nach Johnnys Anruf war Mike zur Tür hereingestürzt. In Anbetracht der
Weitere Kostenlose Bücher