Nicht schießen, Johnny!
schreckliche Sorgen um seinen Sohn und darüber, was er noch alles mit dem gottverdammten Schießeisen anrichten würde. Es wurmte ihn, daß er zu Hause herumsitzen mußte, während andere nach Johnny suchten. Manchmal war er nahe daran, auf eigene Faust loszuziehen und die Straßen nach Johnny abzugrasen. Nur die Einsicht, daß er im Alleingang noch weniger erreichen würde als die Polizei, hielt ihn zurück. Als er sich kaum noch beherrschen konnte und halb wahnsinnig war vor Ungeduld, läutete das Telefon.
Er raste in die Küche. Während sich auf Maggies Miene schüchterne Hoffnung malte, riß er den Hörer wild an sich, führte ein kurzes Gespräch und legte dann auf. »Das war der farbige Cop Tibbs«, berichtete er. »Sie haben Johnny noch nicht gefunden, aber sie glauben zu wissen, wo er sein könnte.«
»Wo?« fragte Maggie mit großen Augen.
»Das sagte er nicht. Er fragte bloß, ob ich mitkommen will, wenn er’s nachprüft.«
»Oh! Also, ich finde, du solltest mitfahren«, sagte Maggie. Es wäre ein Segen; sie hatte Angst vor ihrem Mann; in seiner derzeitigen Verfassung war er zu allem fähig.
Mike blickte zum Herd hinüber und fragte mit beinahe milder Stimme: »Hast du irgendwas zu essen?«
Maggie gestand sich zerknirscht ein, daß sie Mikes Lunch völlig vergessen hatte. Hastig nahm sie einen Kochtopf mit Suppe vom Ofen und richtete ihm einen Teller voll als ersten Gang. Eigentlich war die Suppe für Johnny gedacht gewesen, falls er doch noch heimkommen sollte, aber darum konnte sie sich jetzt nicht kümmern.
Ihr Mann setzte sich und begann, die Suppe geräuschvoll in sich hineinzulöffeln. Das gab ihr eine Gnadenfrist; sie durchstöberte den kleinen Kühlschrank und entdeckte ein Stück gekochtes Rindfleisch, das sie in Scheiben schnitt; sie machte ein Sandwich zurecht, fügte Senf und eine Handvoll Kartoffelchips hinzu und stellte den Teller vor Mike auf den Tisch.
Mike kaute stumm, bewegte seine Kinnbacken in gleichmäßigem Rhythmus und starrte dabei stumpf vor sich hin. Maggie goß ihm ein Glas Milch ein und verzog sich dann in den Hintergrund. Sie hatte auch noch keinen Bissen gegessen, aber das konnte warten, bis er sicher aus dem Hause war. Noch nie hatte sie sich vor ihrem Mann so sehr gefürchtet wie eben.
Draußen waren Schritte zu hören und dann ein Klopfen an der Tür. Maggie öffnete rasch, nachdem sie sich die Hände an der Schürze abgewischt hatte, und ließ Virgil Tibbs herein. Der Neger hegte offensichtlich keine übertriebenen Hoffnungen, aber er hatte etwas an sich, daß ihr Vertrauen und Zuversicht einflößte, obwohl seine Hautfarbe sie noch immer ein bißchen störte. Sie kannte ihn eigentlich gar nicht, war aber froh, daß er Polizeibeamter war. Sie hatte das Gefühl, wenn es überhaupt jemandem gelang, ihr ihren Sohn zurückzubringen, dann würde er es sein.
Sie hätte ihn gern irgendwie auf Mikes Gemütsverfassung vorbereitet. Die Art, wie er sie beide begrüßte, verriet jedoch, daß er sich über die Situation absolut im klaren war. Diesmal setzte er sich nicht, sondern sagte das, was er zu sagen hatte, im Stehen. »Ich glaube, wir sind Ihrem Jungen auf der Spur. Es scheint ziemlich sicher zu sein, daß er nach Anaheim gefahren ist.«
»Nach Anaheim?« fragte Maggie begriffsstutzig.
»Ja, dort haben nämlich die California Angels ihr Stadion.«
»Aber das ist doch ziemlich weit weg, oder nicht?«
»Ja, gewiß, Mrs. McGuire, aber es gibt eine direkte Busverbindung dorthin. Johnny tauchte heute morgen bei einer Tankstelle auf und benutzte den Waschraum. Dann fragte er den Tankwart nach dem Weg nach Anaheim.«
»War mit ihm alles in Ordnung?« fragte Maggie besorgt.
Ehe Tibbs antworten konnte, schaltete sich Mike ein. »Aber der Junge würde doch nicht einfach losziehen, um sich ein Baseballspiel anzusehen, wo er genau weiß, daß ich und seine Ma vor Angst um ihn halb verrückt sind !«
»Nein, Sir, das glaube ich auch nicht. Aber Sie haben mir gestern Nacht etwas erzählt, das seine Handlungsweise erklären könnte. Ich möchte mich jetzt nicht näher darüber auslassen, hielte es aber für eine gute Idee, wenn Sie mich nach Anaheim begleiten. Sollten wir ihn dort finden, dann wird ihm die Anwesenheit seines Vaters ein Trost sein.«
Maggie warf Tibbs einen schnellen Blick zu, weil ihr plötzlich schwante, daß er ihren Mann besser durchschaute als sie.
»Ich komme mit«, sagte Mike. Er griff nach dem Pullover, der über einem Stuhl hing und sah dann seine
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