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Nicht schwindelfrei - Roman

Nicht schwindelfrei - Roman

Titel: Nicht schwindelfrei - Roman
Autoren: Haymon Verlag
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nackter Mann, der jetzt sein Hemd um die Hüften knotete und sagte, er sei Tarzan.
    Erzähl mir von diesem Tarzan, bat sie.
    Paul berichtete von einem alten Film, von einem Stück Urwald, das für den Affenmenschen gewissermassen extra eingerichtet war. Es gab da bewohnbare Bäume, es gab Lianen, an denen er sich von Ast zu Ast schwingen konnte und so weiter.
    Tarzan rettete eine junge Frau, die Jane hiess, aus einem Kampfgetümmel zwischen Schwarzen und Weissen, in dem Janes Vater umkam. Jane lebte nun mit Tarzan zusammen. Ihr Kleid nützte sich ab. Bald trug sie nur noch ein fadenscheiniges Röckchen, ziemlich ausgefranst, damit man sehen konnte, wie zart und gelenkig sie gebaut war. Jane liebte ihren Retter und lehrte ihn englisch sprechen.
    Und was redeten sie dann, als er reden konnte?, erkundigte sich Claire.
    Dazu kamen sie kaum mehr. Sie waren immer wieder bedroht und Tarzan hatte zu kämpfen, mal mit einem Löwen, mal mit einem Krokodil.
    Jane liess es nicht zu, dass Tarzan sie lange in seinen Armen hielt oder sie abtastete. Wenn sie sich niederkauerte, um zu pinkeln, musste er den Blick abwenden.
    Gehorchte er?
    Nein.
    Und sie?
    Versteckte sich oder tat so, als sei sie unsichtbar. Ich muss dich doch erst mal kennen lernen, sagte sie zu ihm. Sie weinte ein wenig. Der Mann hatte zwar ihr Herz überrumpelt, doch ihr Kopf blieb ziemlich wach. Bei den Männern war Vorsicht am Platz, bei einem Affenmann erst recht.
    Wollte Tarzan Jane nicht kennen lernen?, fragte Claire.
    Doch. Dazu aber wäre das Tasten nützlich gewesen.
    Ihre Hand fasste nach seiner Hand, die auf ihrem Knie lag.
    Ich erinnere mich an Tarzan, stellte Paul zufrieden
fest.
    Warum solltest du nicht?
    Weil ich vergesslich bin.
    So siehst du aber nicht aus, sagte Claire.
    Und wenn ich nun auch noch so aussehen würde?
    Claire deutete etwas Schlaffes, Triefäugiges an. Paul lachte nicht. Er war erschrocken über ihr Gesicht.
    Claire drehte an seinem Ehering.
    Paul fragte: Soll ich dir von meiner Frau erzählen?
    Sie fand, das sei nicht nötig.
    Marion, sagte er.
    Gefällt dir der Name?, fragte sie.
    Er gehört zu ihr.
    Und mein Name?, erkundigte sich Claire.
    Paul überlegte. Der muss sich erst noch an dich gewöhnen.
    Eine Woche darauf war ihm und war ihr, als wäre dazwischen keine Lücke gewesen.
    Claire trug ein kurzes Hemd und ein ernstes Gesicht. Me Jane, sagte sie und tippte an ihr Brustbein.
    Jane, wiederholte Paul probeweise. Er hob sie auf
seine Arme, sie half ihm dabei, indem sie seinen Nacken umschlang. Als Paul sie im Zimmer herumtrug, diese Jane, strampelte sie wie eine Geraubte.
    Nicht bewegen, befahl er. Du bist ohnmächtig, du hast die Augen zu. Ein Löwe hat dich bedroht. Ich bin im allerletzten Augenblick gekommen. Was du noch gesehen hast, war mein erhobener Arm und in meiner Faust das Messer. Dann bekamst du weiche Knie und wumm.
    Er legte sie auf das Bett.
    Sie blieb reglos liegen.
    Genau so, sagte er.
    Jetzt machst du die Augen weit auf und schaust erschrocken in mein Gesicht.
    Sie gehorchte. Dann fing sie an zu lachen und lachte weiter, bis ihr die Tränen kamen. Dann weinte sie.
    Paul sah ihr beim Weinen zu. Ich bin weniger verheiratet, als du vielleicht denkst, sagte er.
    Ich denke gar nichts, ich weine, schluchzte sie und war schon kaum mehr zu verstehen.
    Paul hatte ihr ein Geschenk mitgebracht: ein verbranntes Brot, rund und schwarz und so schwer, dass man annehmen konnte, das Innerste sei essbar geblieben. Paul hatte das Brot, er wusste nicht mehr warum, im Ofen vergessen.
    Claire strich mit der flachen Hand über die vulkanische Kruste.
    Das Ding heisst: Meine kleine Sonnenfinsternis, sagte Paul. Sollen wir es essen? Urdinkel, fügte er bei.
    Nein, entschied sie, ich möchte es behalten, wie es ist, vorläufig.
    Sie teilte Paul mit, sie reise für zwei Wochen zu einer Freundin ins Piemont.
    Paul wünschte ihr viel Vergnügen.
    Claire sagte nichts. Sie drehte das runde Brot auf ihren Knien.

A n einem frühen Dienstagnachmittag rief ein Unbekannter an. Er entschuldigte sich: Er sei eine Viertelstunde zu spät. Paul begriff nach und nach, dass es sich um den Putzmann handelte, der als Stellvertreter seiner Frau unterwegs und nun im Stau war. Bára lag im Spital, beschäftigt mit der Geburt ihres Sohnes.
    Nach der angekündigten Viertelstunde stand der Mann vor der Tür. Grauer Arbeitsmantel, darunter ein weisses Hemd mit offenem Kragen. Es
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