Nicht tot genug 14
Seite starrte mir mein eigenes Gesicht entgegen.
Alles war identisch, nur hieß die Firma anders als meine.
Und unter meinem Gesicht las ich einen Namen, den ich noch nie gehört hatte.
71
MARIJA DJAPIC TIPPTE DEN Z AHLENCODE auf der Tastatur ein und trat durchs Tor. Es war kurz nach neun, und dank ihrer Tochter war sie ein bisschen später dran als sonst. Sie bemerkte sofort den Mann, der vor der Tür von Nummer 5 stand und aussah, als hätte er schon eine ganze Weile gewartet.
Sie überquerte den gepflasterten Innenhof, ziemlich außer Atem, weil sie den langen Weg zu Fuß gegangen war und dabei wie immer die schwere Tasche geschleppt hatte, in der sie Arbeitskleidung, Schuhe, Mittagessen und Getränke aufbewahrte. Sie schwitzte stark und war nach dem letzten Streit mit Danica äußerst schlecht gelaunt.
Wer war dieser Mann? Was wollte er von ihr? Etwa wieder ein Geldeintreiber von irgendeiner Kreditkartenfirma, der sie Geld schuldete?
Die fünfunddreißigjährige Serbin ging grundsätzlich zu Fuß, um das Geld für den Bus zu sparen. Alle ihre Arbeitgeber wohnten nicht weiter als eine Stunde von der Sozialwohnung in Whitehawk entfernt, die sie mit ihrer vierzehnjährigen Primadonna teilte. Sie steckte ihr ganzes sauer verdientes Geld in Danicas Zukunft, kaufte ihr anständiges Essen und die Kleider, die Danica sich wünschte – soweit sie sich das leisten konnte. Hinzu kamen die ganzen Dinge, die sie brauchte, um mit ihren Freundinnen Schritt zu halten: Computer, Handy und iPod – den hatte sie ihr erst vor zwei Wochen zum Geburtstag geschenkt.
Als Dank dafür kam das Mädchen morgens um zehn nach vier mit verschmiertem Make-up und erweiterten Pupillen nach Hause!
Und jetzt stand auch noch dieser aalglatte Typ vor der Tür und war vermutlich darauf aus, ihr das Geld wegzuschnappen, das Cleo Morey für sie auf den Küchentisch gelegt hatte. Marija wühlte in ihrer Tasche nach dem Wohnungsschlüssel. Der Mann war groß, gut gekleidet, trug das braune Haar mit Gel zurückgekämmt und erinnerte sie an irgendeinen Schauspieler, dessen Name ihr jedoch nicht einfiel. Seine dunkelblaue Jacke mit dem Abzeichen auf der Brusttasche hatte etwas von einer Uniform.
Marija schaute sich argwöhnisch um und entdeckte zu ihrer Erleichterung eine junge Frau in Fahrradkleidung, die einige Häuser weiter ihr Mountainbike aus der Haustür schob. Mutiger geworden, steckte sie den Schlüssel ins Schloss und drehte ihn um.
Der Mann trat vor und hielt ihr einen laminierten Ausweis mit seinem Foto hin, den er um den Hals trug. »Entschuldigen Sie, ich würde gern den Gaszähler ablesen«, sagte er sehr höflich. Sie bemerkte das kleine Gerät mit der Tastatur, das er in der Hand hielt.
»Ist mit Miss Morey abgesprochen?«, fragte sie in scharfem Ton.
»Nein, aber ich war zufällig in der Gegend. Es dauert nur ein paar Minuten, wenn Sie mir bitte zeigen würden, wo sich der Zähler befindet.«
Sie zögerte. Er sah eigentlich ganz normal aus, einen Ausweis hatte er auch. Es kam öfter vor, dass Leute zum Ablesen auftauchten, wenn sie gerade irgendwo putzte. Andererseits hatte man sie angewiesen, niemanden ins Haus zu lassen. Vielleicht sollte sie Miss Morey kurz anrufen und nachfragen. Andererseits wollte sie sie nicht wegen einer solchen Kleinigkeit bei der Arbeit stören. »Kann ich noch mal Ausweis sehen?«
Er zeigte ihr die Plastikkarte. Ihr Englisch war nicht sehr gut, aber sie erkannte sein Gesicht und den Namen des Energieversorgers. Der Ausweis sah wichtig aus. Offiziell. »Okay«, sagte sie schließlich.
Noch immer misstrauisch, ging sie vor ihm ins Haus und ließ ihn keine Sekunde aus den Augen.
Ihr Geld lag auf dem Küchentisch unter einer Keramikschale mit Obst, daneben ein handgeschriebener Zettel von Cleo mit den Anweisungen für diesen Morgen. Marija steckte die beiden 20-Pfund- Scheine ins Portemonnaie und deutete auf eine kleine Tür oben in der Wand links vom riesigen silberfarbenen Kühlschrank. »Ich glaube, Zähler ist da«, sagte sie und bemerkte beiläufig den Verband an seiner Hand.
»Scharfe Kanten«, sagte der Mann zur Erklärung. »Sie glauben nicht, wo manche Leute ihre Zähler versteckt haben! Meine Arbeit ist ganz schön gefährlich.« Er lächelte. »Haben Sie etwas, auf das ich hinaufsteigen kann?«
Sie schob ihm einen Küchenstuhl hin. Er bedankte sich und zog die Schuhe aus, wobei seine Augen jedoch zu dem Schlüsselbund wanderten, der auf dem Tisch lag. Er überlegte gerade
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