Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
Pfannkuchen.
Zum einen habe ich also sehr viel erlebt für ein Kind aus einer armen Familie. Zum anderen habe ich es fast immer ohne meine Familie erlebt und mich daran gewöhnt, Dinge ohne meine Mutter zu tun. Oft habe ich das Gefühl gehabt, dass ich dankbarer sein müsste als andere und eigentlich nicht da sein sollte, wo ich gerade war. Dass ich das Gute, was mir widerfuhr, nicht verdient hatte. Oder dass ich etwas nicht nur meiner eigenen Leistung zu verdanken hatte. Das hat das Gefühl bestärkt, nicht dazuzugehören.
Es passierte etwas mit mir, wenn ich kleine Summen oder Gegenstände von anderen annahm. Ich fing an zu glauben, alles könne möglich werden. Ich rechnete sogar damit, dass Dinge, die vorher unerreichbar schienen, vielleicht doch möglich werden könnten, wenn ich es nur stark genug wollte. Andererseits hatte ich ein schlechtes Gewissen. Ich fühlte mich, als würde ich ständig Geschenke annehmen, könnte aber nichts zurückgeben. Aus Dankbarkeit kann Ohnmacht werden. Genau das wurde mir in einer Situation besonders schmerzlich bewusst. Es ist die Geschichte der traurigsten Ostern meines Lebens, auf einem Schloss in Craheim, als ich vierzehn war.
Ich war dort mit zwei befreundeten Familien, die sich gut kannten und mich mitgenommen hatten. Es war Ostermorgen, und gleich würden alle losgehen, um im Schlosspark Osternester zu suchen. Ich wusste, dass ich alles kaputtmachen würde, wenn ich mich im Zimmer versteckte und nicht mitkäme. Es war mir auf einmal sehr unangenehm, mitgefahren zu sein, und ich fragte mich, warum ich an diesem Tag nicht bei meiner Mutter war.
Ich hatte Angst, dass ich als Einzige ohne ein Nest im Park stehen würde, obwohl ich gleichzeitig sicher war, dass irgendjemand auch an mich gedacht haben würde. Was schwerer wog: Es war mir peinlich, dabei zu sein, ich fühlte mich wie ein Eindringling. Das war ihr Ostern, waren ihre Osternester. Wegen eines Extranests für mich würden meine Freundinnen weniger bekommen.
Ich stand neben den Büschen und konnte mich nicht rühren, in meinem Hals steckte ein dicker Kloß. Ich wartete, bis die beiden Mädchen ihre Nester gefunden hatten. »Geh doch gucken, ob noch etwas versteckt ist«, ermutigte mich ihr Vater, ein langer dünner Mann mit grauen Haaren und Vollbart. Er hatte eine ruhige, würdevolle Ausstrahlung. Vor ihm war ich besonders schüchtern. Ich ging zum nächsten Busch und bückte mich. Im Gras saß eine Strohente, die genauso aussah wie die meiner Freundinnen, gefüllt mit Ostergras und Ostereiern, und sie wartete auf mich. Ich konnte sie fast nicht aufheben, weil mich bereits die Tränen drückten. Ich wollte nur verschwinden und habe mich verkrampft bedankt. Ich habe mich gefreut und zugleich gefühlt, als ob ich jemandem etwas wegnähme.
Nur einmal war es mir zuvor schon so ähnlich ergangen. Mit zehn Jahren hatte ich auf einer Freizeit einen Sport- und Spielwettbewerb gewonnen. Ich hatte erst gar nicht teilnehmen wollen. Aber eine Vereinsmitarbeiterin hatte mich ermutigt und mir eine Toblerone versprochen, wenn ich nur einfach mitmachte. Und dann belegte ich den ersten Platz. Mein bester Freund kam erst auf dem elften Platz. Und anstatt stolz zu sein und vielleicht ein bisschen anzugeben, war es mir unglaublich peinlich, besser zu sein als er. Ich hätte fast geweint. Aber der Mitarbeiterin war ich sehr dankbar und ich habe nie vergessen, wie sie mich ganz ruhig und geduldig ermutigt hat, Spaß an der Sache zu finden. Ich hätte mir gewünscht, dass mich öfter jemand so hartnäckig überredet hätte, Neues einfach auszuprobieren.
Dass ich mich oft zurückzog, wurde mir immer wieder als Arroganz ausgelegt. Oft habe ich auch gar keine Erklärung abgegeben, sondern nur behauptet, ich hätte kein Geld. Die Wahrheit als Provokation und Selbstverteidigung. Es hat viel für meine Selbstachtung bedeutet, selbst zu entscheiden, ob ich mich irgendwem anschließe oder nicht. Manchmal ist es vielleicht wichtiger, auf eine Erfahrung zu verzichten, um den eigenen Stolz bewahren zu können – eine Entscheidung, die nicht in jeder Situation leicht zu treffen ist. Ich habe es sicherlich auch zuweilen übertrieben. Ich habe als Einzige nicht in das Erinnerungsbuch für einen Klassenlehrer geschrieben, den ich nicht leiden konnte. Es wäre mir wie eine Lüge vorgekommen. Dabei hätte ein bisschen mehr Diplomatie wahrlich nicht geschadet.
Später habe ich gelernt, um der Gemeinschaft willen mitzugehen. Und ich habe viele
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