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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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wo hätten wir sägen sollen und mit welchem Werkzeug? Aber meine Mutter konnte Löcher bohren, Lampen aufhängen und IKEA-Möbel zusammenbauen. Und sie konnte Topflappen häkeln. Ein Jahr lang hat sie alle Bekannten mit Topflappen, Eierwärmern und Pulswärmern beschenkt. Und sie hat uns drei Gardinen mit großen Luftmaschen für unsere erste gemeinsame Wohnung gestrickt, eine in Rosa und zwei in Grün. Diese Gardinen wusch sie im Frühjahr und im Herbst sorgfältig mit der Hand, damit sie ihre Form behielten.
    Auch an Kleidern hat sie sich versucht. Als ich in den Kindergarten ging, hat sie mir ein Leibchen gehäkelt. Ein helles, glänzendes in Fliederlila mit einem Stern aus Silberfäden auf der Brust. Damals war ich noch leicht zufriedenzustellen. Ein paar bunte Tücher machten es möglich, mich in alles zu verwandeln, was ich sein wollte, Prinzessin oder Papagei. Ich saß in unserem Loggiafenster, zog alle Röcke an, die mein Schrank hergab, wickelte mich in bunte Tücher und spannte den Regenschirm auf. Er war hellblau mit gelben Punkten und hatte Rüschen am Rand. Gegenüber vom Fenster durfte ich mit Fingerfarben ein riesiges Bild an die Tapete malen: Ein Piratenschiff, das für alle anderen aussah wie ein riesiger brauner Klecks.
    Vor dem Loggiafenster war eine Wiese. Wenn das Heu frisch gemäht war und es liegen blieb, wurde sie zum Spielplatz. Ich habe mir ein Haus gebaut: erst einen Ring und darin kleine Heuhaufen, die entweder ein Sessel oder die Küche waren.
    Ich hänge sehr an alten Dingen. Aber ich gehe dabei nicht so weit wie mein Vater, der alles, was noch zusammenhält, aufhebt, selbst alte Plastikteller und Schalen. Meine Mutter dagegen möchte alles Überflüssige loswerden, alles, was schwer und sperrig ist. Die alten Möbel aus meiner Kindheit, die alle von meinem Vater stammten, waren aus massivem dunklen Holz, zwei schwere Buffets, der Couchtisch, unter dem man ausgezeichnet Höhlen bauen konnte. Und dann war da noch der grünkarierte Sperrholz-Sessel mit den weißen Gummibändern, auf denen die Polster lagen. Ohne die Polster wurde der Sessel zum Trampolin, umgedreht mit ein paar Decken zur Höhle. Aber alle diese Möbel gibt es nicht mehr. Denn wir zogen um.
    Eines Abends stand ein Mann mit einem weißen Hündchen in der Tür. Er spazierte in der Wohnung herum und schaute alles an, als gehöre es schon ihm. Ich hätte ihn am liebsten rausgeworfen, womöglich wollte er uns alles wegnehmen, aber meine Mutter beachtete mich gar nicht. Als er gegangen war, habe ich sie gefragt, wer das denn gewesen sei. Da erst habe ich erfahren, dass wir umziehen und Besuch von unserem Nachmieter erhalten hatten. Warum wir umziehen mussten, habe ich nie verstanden. Es war eine Laune meiner Mutter. Sie wollte aus Kreuzberg weg. Ihr war dort zu viel Stadt, dort sei die schlechteste Luft von ganz Berlin, behauptete sie, die einem ständig Halskratzen verursache. In Spandau lockte der Wald, die »Freiheitlichkeit«, meinte sie. Und der Zeitpunkt schien ihr günstig, bevor ich eingeschult wurde. Ich wurde nicht gefragt. Für mich war der Umzug keine Verbesserung.
    *
    Unsere Spandauer Wohnung lag im zweiten Stock eines Hochhauses im Falkenhagener Feld. Man musste, um ins Haus zu kommen, einen schwarzen viereckigen Schlüssel an eine kleine runde Platte halten, dann öffnete sich die Tür mit einem Piepen. In jedem Stockwerk gab es einen Müllschlucker und man konnte mit dem Fahrstuhl bis in den 15. Stock hochfahren. Das habe ich eine Zeitlang mit Klassenkameraden gemacht, die zu Besuch kamen. Der Treppenhauschacht war eng. Es stank manchmal in den unteren Etagen.
    An dem Tag, an dem wir eingezogen sind, ist jemand von einem Treppenhausbalkon gesprungen, an unserem Küchenfenster vorbei. Der Abdruck des Körpers war noch auf dem Boden sichtbar. Die Polizei hat die Spuren beseitigt und Mitbewohner befragt. Ich erinnere mich schemenhaft an den Notarztwagen und die Stimmen der Nachbarinnen. Danach ist nie wieder so etwas passiert. Nur die Nachbarn über uns haben sich jahrelang, ausgerechnet immer am Samstag- und Sonntagmorgen, wenn man endlich ausschlafen konnte, gestritten. Sie haben geschrien und Möbel umgeworfen. Irgendwann hat der Lärm nur noch genervt. Aber man überhörte ihn bald, wie die Flugzeuge, deren Tegeler Einflugschneise über unser Haus führte.
    Mein Hochhaus war das erste in der Reihe von drei identischen Hochhäusern. Verbunden waren sie durch einen breiten Weg, von dem aus kleine Wege abgingen,

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