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Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)

Titel: Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Undine Zimmer
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vielleicht auch mir eins anzubieten, dann bekam meine Mutter noch einmal vorgeführt, dass sie solche Sachen nicht kaufen konnte, die Kindern so viel Spaß machen: Caprisonne, Fruchtzwerge, Brausepulvertüten und Bifi. Andere bekamen solche Leckereien mit in die Schule. Als ich erfuhr, dass man den Kindern in England sogar kleine Chipstüten mitgibt, war ich richtig neidisch. Für mich gab es immer das gleiche Schwarzbrot mit Kräuterstreichkäse, Möhren, Äpfel, eine Tomate oder auch mal ein Stück Käse und Knäckebrot. Eigentlich ein gesundes Essen. Eigentlich lecker. Aber langweilig.
    Es ist ein Unterschied, ob man sich aus verschiedenen Gründen dafür entscheidet, gewisse Dinge nicht zu kaufen, wenn man weiß, man könnte es, oder etwas nicht kauft, weil man es nicht kann. Selbst wenn es nicht besonders gesund ist: Ein Trinkpäckchen kann zum Statussymbol werden.
    *
    Reutlingen 2012. Déjà-vu im Penny Markt: Ich stehe vor dem Getränkeregal. Plötzlich bekomme ich große Lust auf Bier. Es gibt ein Weizen im Angebot, das mir richtig schmeckt. Es steht gleich neben dem Mineralwasser, das ich gesucht habe. Wenn man Durst hat, dann ist eine 1,5-Liter-Flasche Mineralwasser für 19 Cent ein günstiger Luxus. In meiner Tasche sind nur drei Euro und ich bin mit dem festen Entschluss hierhergekommen, endlich die Pfandflaschen abzugeben und nur das Notwendigste für heute Abend zu kaufen: Mozzarella für die Füllung der letzten grünen Paprika – die, die im Paprikamix immer übrigbleibt –, eine Seife für die WG und einen Liter Milch für Tee und Kaffee am Schreibtisch. Sogar die Schokolade will ich mir diesmal verkneifen. Weil es ein knapper Monat ist, in dem ich eisern sein muss. Aber mit einem Bier am Abend ließe es sich doch viel besser arbeiten, rede ich mir ein. Auf ein paar Tage gerechnet ist so ein Sechserpack doch auch gar nicht so viel. Der Dialog im Kopf beginnt, die Spendable und die Sparerin in mir diskutieren miteinander. Klar könnte ich den Dispo noch um vier Euro mehr überziehen. Was macht das schon für einen Unterschied? Vier Euro Lebensqualität.
    Ich denke an das Glas Spargel 2001 in Südschweden und bleibe hart. Ich werde dieses Glas nie vergessen, das ich nie gekauft habe und das, selbst wenn ich es gekauft hätte, niemals so geschmeckt hätte wie in meiner Vorstellung. Damals war ich Erasmus-Austauschstudentin in Schweden. Das Auslands-BAföG war viel zu gering verglichen mit den teuren Zimmermieten dort. Außerdem kam es zu spät und es gab keine finanzielle Unterstützung für die Mietkaution, was die monatliche Summe um einiges schmälerte. Die zusätzlichen 50 bis 100 Euro Erasmusgeld waren ein Tropfen auf den heißen Stein. Ich hatte sehr wenig Geld und musste streng rechnen. Für zehn schwedische Kronen habe ich Sellerie gekauft, für neun Kronen etwas Brot oder Pasta und vielleicht ein paar Möhren. Was kostet am wenigsten, hat am meisten Masse und lässt sich am besten kombinieren? Obwohl man so wenig ausgibt, raubt so ein Einkauf viel Kraft und Zeit. Ich stand vor einem Regal und mein Blick fiel auf das kleine Glas mit den Spargelspitzen. Ich mache mir sonst gar nicht viel aus Spargel. Diesmal aber lief mir das Wasser im Mund zusammen. Ich habe zehn Minuten mit mir gerungen, bis ich es im Regal stehen lassen konnte. Das kleine Glas für neun Kronen hätte mein Budget gesprengt. »Ich gönne es mir später« – damit tröstet man sich am besten.
    Dieser Monat in Reutlingen ist wieder ein knapper Monat. So wenig Geld hatte ich schon lange nicht mehr. Ich habe auch schon lange keine Lust mehr, so knapp zu rechnen und immer wieder eine 59-Cent-Schokolade gegen eine Packung Mehl abzuwägen. Und heute stehe ich also zuerst vor dem Bier. Dann versuchen mich die eingelegten Artischockenherzen. Ich liebe in Öl eingelegte Artischockenherzen auf Weißbrot zum Frühstück. »Später, später«, murmele ich wie ein Mantra in mich hinein, drehe mich schnell weg und gehe mit der Seife und der Milch zur Kasse.
    Wenn man nur wenig Bargeld in der Tasche hat, dann ist es am leichtesten, sich an ein vorgegebenes Budgetziel zu halten. Der zweite Trick ist, nur das zu kaufen, was man gerade kochen will. Dann kann man am ehesten auf alles verzichten, was sich den Augen appetitanregend präsentiert und schon mal »für die nächsten Tage« mitkommen möchte: auf eine Avocado beispielsweise oder auf die Nektarinen, die sind ohnehin noch zu hart und die Pflaumen noch zu teuer. Es ist genug zu Hause,

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