Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
natürlich weiß ich Haferbrei erst richtig zu schätzen, seit ich von zu Hause ausgezogen bin. Denn was meine Mutter kochte, brauchte immer noch etwas mehr Zucker oder Salz. Und weil es meine Mutter kochte, war es für mich schon aus diesem Grund mit dem Geschmack der Notwendigkeit verbunden.
Kochbücher und Rezepte . Meine Mutter hat selten nach Kochbüchern gekocht. Meistens haben uns einige wichtige Zutaten gefehlt, so dass wir die Gerichte immer wieder auf das reduziert haben, was wir sowieso beim letzten Einkauf mitgebracht haben. In unseren drei Kochbüchern haben wir meistens nur die Bilder angeschaut. Das schönste war ein vegetarisches Vollkornkochbuch, das wir oft durchgeblättert haben. Manchmal haben wir versucht, Rezepte mit den Zutaten, die wir am ehesten da hatten, nachzukochen. Wir hätten uns vielleicht ein bis zwei der fehlenden Zutaten pro Einkauf leisten können. Aber nie alles auf einmal. Allein die Entscheidung, mit welchem Rezept man hätte anfangen sollen, war irgendwie zu schwer. Erst im Studium habe ich ein paar Rezepte ausprobiert.
Einkaufen. Meine Mutter behauptet, dass wir immer Selterswasser und Johannisbeersaft zu Hause hatten. Meiner Erinnerung nach war beides immer ziemlich schnell aufgebraucht. Und mehr als zwei bis drei Flaschen konnten wir mit der Rolltasche auch gar nicht transportieren.
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Wenn ich meine Mutter heute nach solchen Details frage, dann fühlt sie sich schnell in die Ecke gedrängt. Obwohl ich ihr nie Vorwürfe machen will. Ich glaube, dass das Gefühl, sich für etwas verteidigen zu wollen, das man nach bestem Wissen gemacht hat, aber nie zur eigenen Zufriedenheit tun konnte, sehr unangenehm sein muss.
In unseren Gesprächen erfahre ich heute noch Einzelheiten, über die ich mir vorher nie Gedanken gemacht habe. Tomaten hatten wir immer im Haus. Beide mögen wir Tomaten sehr gern. »Davon kannst du so viel essen, wie du willst«, hat sie immer gesagt. Sie selbst hat sich dafür zurückgehalten. Sie hat für mich etwas gekocht und dann die Reste gegessen. Im Nachhinein kommt es mir doch komisch vor, dass meine Mutter immer so kleine Portionen aß und dann behauptete, satt zu sein. Aber sie hat das, solange ich mich erinnern kann, stur durchgezogen. Meiner Meinung nach wäre das nicht nötig gewesen. Hätte ich nicht davon profitiert, ein waches Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie wir leben? Ich hätte meiner Mutter mit Essen eine Freude machen können, anstatt krampfhaft nach einem Geschenk zu suchen, das ihr dann nicht gefällt, wie mein Strauß Moosröschen, den ich ihr einmal zum Muttertag geschenkt habe. Essen hätte zu einer ganz anderen Verbundenheit führen können, wenn sie mich einbezogen hätte. Oder bilde ich mir das ein? Was sicher ist, verhungert wären wir nie.
Wenn sie kochte, drehte sich alles um mich und meine Essgewohnheiten oder Vorlieben. Nie ging es darum, was sie gern aß. Als ich in der Grundschule Vegetarierin wurde, zusammen mit einer Freundin, hat meine Mutter kein Fleisch mehr für sich selbst gekauft. Wir hatten es auch vorher nicht oft auf dem Tisch. Sie hat eine Zeitlang versucht, die Küche auf etwas anderes Gemüse umzustellen. Aber das mochte ich nicht. Und weil sie das nicht nur für sich selbst kochen wollte und Angst hatte, sie müsste das Essen womöglich wegwerfen, hat sie auf diese Abwechslung fortan verzichtet. »Zum Experimentieren war nicht genug Geld da«, sagt meine Mutter im Rückblick. Zum Experimentieren hätten damals zum Beispiel Zucchini oder Aubergine gehören können. Die gab es kaum bei uns. Dafür immer neue Variationen von Haferflockenplätzchen. Die mochten alle meine Freundinnen, nur ich nicht.
Und es gab immer Äpfel. Wenn wir unterwegs waren, hatte meine Mutter grundsätzlich eine Flasche Wasser oder Tee dabei, Pfefferminzbonbons und Äpfel. Wenn ich quengelte, ich wolle »etwas Leckeres« haben, sagte sie: »Iss doch einen Apfel!« Daraufhin habe ich irgendwann nur noch das Gesicht verzogen. Den Korb mit den hellgrünen Äpfeln – meine Mutter kaufte immer Granny Smith – hatte ich schon lange als »nicht lecker« abgestempelt. Keine Überredungskunst meiner Mutter konnte meine Geschmacksnerven wieder dazu bringen, die sauren Dinger zu mögen. Sie verlangten nach Butterkeksen mit Schokoladenüberzug, nach Schokorosinen oder weichen Nougatpralinen.
Irgendwann hat meine Mutter exotische Früchte für sich entdeckt und immer mal wieder eine mit nach Hause gebracht. Wenn sie ein solches ihr bis dahin
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