Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
gefiel. Die Kanne ist mittlerweile kaputtgegangen, die Tassen hüte ich immer noch.
Oma hat mir gezeigt, wie man Gurkensalat richtig macht: erst die Scheiben schneiden, salzen, einziehen lassen, warten, dann anmachen – und nicht etwa kurz vor dem Verzehr einfach alles zusammenwerfen, wie meine Mutter es tat. Meine Oma konnte kochen, so wie Omas kochen. Meine Mutter ist dazu entweder zu unbegabt oder zu ungeduldig, auf jeden Fall kochte sie sehr anders, als die traditionelle Hausmannskost es verlangt. Mir aber schmecken angemachte Gurkensalate und »richtige« Soßen besonders gut. Wenn meine Mutter Kartoffeln kocht, tut sie kaum Salz dran, weil ihr Salz nicht schmeckt und es außerdem ungesund ist. Aber sie kann leckere Brühen mit Käsewürfeln zubereiten, mit Sauerkraut und allen kräftigen Gewürzen, die im Schrank zu finden sind. Bei uns sind das Thymian, Rosmarin, Kardamom, Zimt, die kamen an jede Speise, solange ich nicht protestierte.
Meine Mutter ist in allem ganz anders als ihre Mutter – vielleicht weil sie glaubt, die Erwartungen ihrer Mutter nie erfüllt zu haben, vielleicht weil beide nie ein gutes Verhältnis hatten und nicht darüber sprechen können. Auch damals, als meine Oma uns besuchte, war die Stimmung zwischen den beiden Frauen gereizt. Meine Mutter war verschlossen und abweisend, behauptete aber ständig, guter Laune zu sein. Oma redete auf sie ein, war aber selbst genervt.
Jetzt ist meine Oma fast neunzig und wir sind Fremde. Keine Erinnerung ist so lebendig, dass sie das überbrücken könnte. Meine Oma weiß nicht, wer ich bin, und ich erinnere mich an eine Frau, ein Haus mit Garten und einen Stachelbeerstrauch, einen Tag am Deich und die alten Schulkleider meiner Mutter, die ich eine Weile tragen durfte. Bei meiner Oma habe ich »braunen Tee« getrunken, schwarzen Tee mit Milchpulver, den ich mit »Kluntjes«, Kandiszucker, süßen durfte. Ansonsten aber haben wir keine gemeinsamen Erinnerungen, wir schreiben uns keine Karten, senden uns keine Fotos.
Meine ganze Familie ist eine Ansammlung von Fremden, auf der Seite meines Vaters wie auf der Seite meiner Mutter. Das war nicht immer so, hat sich aber im Laufe der Jahre so ergeben.
Unsere Familiengalerie ist schnell abgeschritten: Meine Mutter hat eine ältere leibliche Schwester, Tante Magda, und zwei jüngere Halbgeschwister, Tante Ingrid und Onkel Erik. Tante Magda ist mit sechzehn zu Hause ausgezogen und mit achtzehn nach Amerika ausgewandert. Ihr Deutsch hatte einige Jahre später einen starken amerikanischen Einschlag. Sogar auf den wenigen Postkarten, die wir von ihr bekommen, schreibt sie Denglisch. Tante Magda ist rothaariger und etwas rundlicher als meine Mutter. Im Gesicht ist sie ihr bis heute immer noch sehr ähnlich. Einmal waren Magda und ihr Sohn bei uns, als ich klein war. Sie haben eine Marionette mitgebracht, einen riesigen knallblauen Vogel mit langem Hals wie ein Strauß. Magda hat vor einigen Jahren einen Farmer in Montana geheiratet, den sie übers Internet kennengelernt hat. Ihr Sohn aus erster Ehe war Breakdancer und das, was man einen »schwierigen Jugendlichen« nennt. Jetzt scheint sein Leben geordnet zu verlaufen. Magda hat uns ein Foto von ihm mit seiner Freundin geschickt. Neulich sind wir Facebookfreunde geworden.
Mein Onkel Erik ist das zweitjüngste der vier Geschwister. Er hat eine feste Lebensgefährtin, keine Kinder und lebt in Bremerhaven. Ihn habe ich wohlwollend gönnerhaft in Erinnerung. Er war der Erfolgreiche in der Familie, weil er auf dem zweiten Bildungsweg eine Ausbildung abgeschlossen und einen guten Job bekommen hat. Einer seiner Besuche ist die schönste Silvestererinnerung, die ich habe. Meine Mutter war gut gelaunt, mein Onkel hat Buletten mit Schafskäse und Tzatziki gemacht, wir zündeten Wunderkerzen an, und um Mitternacht haben wir Blei gegossen. Als ich dreizehn war, haben wir ihn in Bremerhaven besucht. Er gab meiner Mutter und mir etwas Geld, damit wir shoppen gehen konnten. Ich kaufte Schnürschuhe mit Absatz und einen langen Rock. Meine Mutter gönnte sich eine leichte Sommerhose. Es war toll, das Geld auszugeben. Aber danach quälte mich das Gefühl, etwas schuldig zu sein. Am liebsten hätte ich die Sachen zurückgebracht.
Meinen Onkel fand ich damals cool. Er hat mir Paul Simons »Concert in the Park« auf Kassette kopiert. Das habe ich viele Jahre gehört. Aber wenn man meinen Onkel angerufen hat, dann war er nie erreichbar. Er hat als einziger in der Familie meiner
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