Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
zertifiziert, auch nicht selbst benennen können oder falsch einschätzen.
Drittens verblüfft die hilflose Naivität der Vermittler und Sachbearbeiter, wenn es darum geht, Einstiegskriterien für einen Job zu bewerten und ihre Kandidaten daraufhin einzuschätzen.
Alle Namen der Arbeitgeber und Sachbearbeiter sowie die Einrichtungen im folgenden Text wurden anonymisiert.
Dienstag, 27. 09. 2005
Jobcenter, Zimmer 124. Herr Kalmer ist ein angenehmer, ruhiger Mensch. Er hat mir zwei Arbeitsangebote vorgelegt. Ich habe ihn zum Thema Kurierdienst und Kleintransporte befragt. Diesbezüglich besteht keine Hoffnung, sagt er. Ganz zu schweigen davon, im Ausland arbeiten zu können.
Donnerstag, 28. 09. 2005
Herrn Kalmer angerufen. Das erste Angebot ist weg. Betreffs des zweiten habe ich einen Termin am Dienstag.
Dienstag, 04. 10. 2005
Verein zur Förderung von Arbeitslosen. Wahrscheinlich Betreuungsdienste: alte Leute im Rollstuhl fahren, einkaufen gehen und Ähnliches. Vielleicht auch Fahrdienste möglich. Fand meine eigene Handynummer nicht. Draußen auf dem WC noch mal gesucht. Von Frau Dinkel Vorstellungstermin erhalten bei einer Diakonie-Station.
Mittwoch, 05. 10. 2005
Telefonat mit der Diakonie-Station. Soll morgen zum Projektleiter Herrn Maier kommen.
Donnerstag, 06. 10. 2005
Nach Warten (Kaffee bekommen) Gespräch mit Herrn Maier. Lebenslauf erzählt. Er fragte mich, ob ich Atembeschwerden habe. Er habe von meinem Sprechen her diesen Eindruck. Das Rauchen, antwortete ich. Er sagt, es gäbe vielleicht auch die Möglichkeit, VW-Bus zu fahren. Werde wahrscheinlich am nächsten Montag anfangen.
Montag, 10. 10. 2005
Anruf von Herrn Maier. Sie nehmen mich nicht.
Dienstag, 11. 10. 2005
Anruf Jobcenter. Herr Kalmer ist nicht da.
Telefonat mit Frau Dinkel vom Verein zur Förderung von Arbeitslosen. Sie will sich um eine neue Stelle bemühen. Sie war sehr freundlich.
Mittwoch, 12. 10. 2005
Telefonat mit Herrn Kalmer: Habe ihn um eine Beratung in Richtung Selbstständigkeit zur Ich-AG, speziell Kurierdienst mit eigenem Pkw, gebeten. Er will mir Bescheid geben.
Anruf von Frau Dinkel (AFB). Neuer Vorstellungstermin für morgen.
Donnerstag, 13. 10. 2005
Gespräch mit der Leiterin eines kleinen Pflegeheimes. Sie ist Afrikanerin und schon sehr lange in Deutschland. Sie war besonders freundlich. Wir haben eine Weile über allgemeine Dinge gesprochen, Politik und Persönliches. Sie sagte wörtlich (Zitat, kein Eigenlob): »Sie sind ein sehr angenehmer Gesprächspartner. Sie sind ein besonderer Mensch. Das merke ich sofort. Bei vielen bin ich froh, wenn sie nach drei Minuten wieder draußen sind, aber das Gespräch mit Ihnen ist interessant und anregend.« Sie hat mir Kaffee angeboten.
Leider könne sie mir, was einen Job betrifft, nicht helfen. Die Mobilitätsdienste werden in ihrem Haus vom festangestellten Pflegepersonal mit übernommen. Sie weiß gar nicht, wieso man mich zu ihr geschickt hat.
Telefonat mit Frau Dinkel vom Verein zur Förderung von Arbeitslosen. Habe ihr den Ausgang dieser Vorsprache mitgeteilt.
Anruf beim Jobcenter. Herr Kalmer ist nicht da.
Anruf von Frau Dinkel. Neues Angebot. Mobilitätshelfer in einem großen Pflege- und Alten-Heim einer Hilfsorganisation.
Freitag, 14. 10. 2005
Telefonat mit dem Pflege- und Alten-Heim. Termin Dienstag, elf Uhr.
Dienstag, 18. 10. 2005
Vorsprache bei Herrn Schmitz. Er will mich nehmen. Montag acht Uhr ist Arbeitsbeginn.
Donnerstag, 20. 10. 2005
Anruf Jobcenter. Herrn Kalmer Arbeitsbeginn mitteilen.
Montag, 24. 10. 2005
Acht Uhr im Pflege- und Alten-Heim. Unten kurz auf Herrn Schmitz warten. Mit ihm durch den Speisesaal auf eine Station gehen. In der zweiten Etage werde ich einer Schwester übergeben. Irgendwie war die Rede von Dienstkleidung und Betten abziehen. Das macht mich stutzig. Dann werde ich in einen Aufenthaltsraum gesetzt, zu sechs dementen alten Frauen, die ich füttern und aufheitern soll. Keiner kümmert sich um mich. Die Schwester macht den Fernseher an.
Ich komme mir völlig hilflos und verloren vor. Die Frau neben mir spricht nicht, kann nicht mehr selbständig essen. Schiebe ihr mit der Gabel Marmeladenhäppchen in den Mund.
Keiner kümmert sich um mich, keinen kann ich fragen, keiner gibt mir eine Aufgabe. Zur Mobilitätshilfe kommen andere Leute, die die Patienten mit den Rollstühlen abholen. Ich sehe mich plötzlich zum Hilfspfleger verladen. Einziger Kontakt zu einem jungen Mann,
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