Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
das oberste Gebot für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt. Offenbar aber nur für »Kunden«.
Bei ihrem letzten Besuch im Jobcenter hat Ewa ihre zuständige Sachbearbeiterin nicht angetroffen. Sie kam nur bis in die Eingangszone des Amtes, wo ein Mitarbeiter, der ihre Akte überhaupt nicht kennt, sie süffisant fragte, ob sie dem Staat inzwischen nicht lange genug auf der Tasche gelegen habe. Ewa war fassungslos und hat fast geweint, als sie mir am Telefon davon erzählte. Den Namen dieses Mannes wollte sie aber auf keinen Fall preisgeben. Deswegen begleite ich sie heute, ich will dabei sein, wenn jemand es wagt, ihr so etwas zu sagen oder auf ihre polnische Herkunft anzuspielen.
Die Sachbearbeiterin lässt weitere fünf Minuten verstreichen, bis sie uns mit einer tiefen, fast lasziven Stimme begrüßt. Sie spricht langsam, lächelt über die insistierende Art, mit der meine Freundin ihr Anliegen vorträgt. Ewa möchte sicher sein, dass sie keine Callcenter-Angebote annehmen muss. Sie möchte stattdessen einen Englischkurs bewilligt bekommen, dafür hat sie bereits verschiedene Kostenangebote eingeholt. Sie spricht hastig, fast hektisch, als könne jede Sekunde eine Klappe herunterfallen und ihr das Wort abschneiden. Als würde ihr im nächsten Moment irgendjemand ihr Engagement als Schmarotzertum auslegen. Auch ich werde während des ganzen Gesprächs das Gefühl nicht los, dass nicht genug Zeit da ist. Was würde es kosten, die Flure des Jobcenters von dieser erstickenden Atmosphäre aus Angst und Druck zu reinigen, die nur zehrende Erschöpfung hervorruft? Ich kenne diesen Zustand gut, meine Mutter hat ihn früher oft mit nach Hause gebracht.
Wie kann es sein, frage ich mich, dass ein so großer Apparat wie das Jobcenter, in den so viel Geld fließt, so schlecht organisiert ist? Ich selbst war einmal bei der Agentur für Arbeit Charlottenburg zu einer Beratung und man hat mir freundlich ein Coaching angeboten. Alles klang gut, bis ich die Rechnung eingesandt hatte und auf das Geld wartete, aber stattdessen eine ablehnende Mitteilung mit einem Anhang voller Paragraphen bekam. Ich hatte die Originalrechnung jedoch wie gewünscht geschickt und rief an, um mich nach dem Verbleib zu erkundigen. »Wie?«, rief mir die erstaunte Stimme der Servicenummer-Mitarbeiterin ins Ohr. »Haben Sie den Brief etwa nicht persönlich an der Rezeption abgegeben?« Als könnten Rechnungen nicht mit der Post geschickt werden! Nur wer die Nerven behält und noch zweimal hinterhertelefoniert, bekommt irgendwann den Bescheid, dass der Brief »doch noch irgendwo aufgetaucht ist«. Ich kann die Fassung nur wahren, solange ich nicht ernsthaft auf die Agentur für Arbeit angewiesen bin.
*
In »Asterix erobert Rom« haben Asterix und Obelix eine Prüfung zu bestehen, sie müssen den Passierschein Nummer A38 in die Hand bekommen. Es scheint nur eine verwaltungstechnische Formalität zu sein, in Wahrheit aber ist es eine fast unlösbare Aufgabe, denn das Formular mit dieser Nummer gibt es noch gar nicht. Das »Haus, das Verrückte macht«, ist ganz klar eine Behörde. Und Asterix und Obelix bestehen die Prüfung nur, weil sie die Regeln ändern, nach denen hier gearbeitet wird.
Ein Bekannter, der in seinem Heimatland den Bürgerkrieg miterlebt hat, mit Schleusern sechs Monate lang über Berge und Grenzen gerobbt ist und in einem lecken Schlauchboot eines Tages an der europäischen Grenze gestrandet ist, meinte nach der »Erstantragsstellung« zu mir: »So viel Stress habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt!« Der damit verbundene Schreibkram und dauernd wechselnde Zuständigkeiten treiben ihn zur Verzweiflung. Meinem Vater geht es ähnlich. »Wenn da wieder so ein grauer Brief im Kasten ist«, wettert er, »dann weiß ich schon: Es wird mich wieder eine Woche kosten, bis ich alles rausgesucht habe.« Und dabei liegt meistens ein Großteil der abgefragten Informationen bereits in einer Akte beim Amt vor.
Als mein Vater im Krankenhaus lag, war ich für ihn beim Jobcenter Steglitz, seine Jahresstromabrechnung musste dorthingebracht werden. Obwohl Steglitz immer noch ein bürgerlicher Bezirk ist, sieht der Warteraum dort nicht gediegener aus als in anderen Zweigstellen. Etwas kleiner vielleicht, das Durchschnittsalter der Kunden ist etwas höher. Neben dem verglasten Info-Schalter steht ein aufgeplusteter Security-Mensch und wartet mit ausdruckslosem Gesicht auf die Randalierer, die hier wohl kaum auftauchen dürften.
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