Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
der Nase an. »Sie machen einen frustrierten Eindruck«, sagt Frau Roser. Und dann fängt sie auch noch an mit meinen »ungepflegten Haaren«. Welcher Mann hat in meinem Alter noch solches Haar? Und da soll ich zum Friseur? Kommt nicht in Frage. Ich hasse den korrekten Haarschnitt. Verweise Frau Roser auf die hübschen und intelligenten Frauen, die meinen »Wuschelkopf« immer süß fanden. Dann war Frau Roser mit meinen Fingernägeln nicht zufrieden. Na ja, die sind brüchig.
Falls etwas mit Fahrdiensten möglich sein sollte, will sie mich anrufen. Eventuell Essen fahren. Eventuell gleich für mehrere Projekte, wegen der Auslastung. Alles in allem war diese Frau Roser dennoch freundlich und nicht unangenehm.
Freitag, 25. 11. 2005
Telefonat mit dem Jobcenter über den Ausgang der Vorsprache beim Stadtteilzentrum.
Freitag, 09. 12. 2005
Anruf vom Stadtteilzentrum. Absage. Frau Roser will mich nicht. Was die Kinderbetreuung betrifft, sehe ich das ein.
Dienstag, 13. 12. 2005
Elf Uhr Termin mit Herrn Morle vom Verein, der sich um berufliche Bildung kümmert. Er ist ja ein recht netter Kerl, aber sein Optimismus ist für mich nicht nachvollziehbar. Vielleicht gehört das zu seinem Job und er will natürlich Leute loswerden, also vermitteln. Davon hängt möglicherweise die finanzielle Förderung der Gesellschaft ab und damit auch sein eigener Job. Er meint, ich solle aus meinem tabellarischen Lebenslauf die DDR-Haftzeit herausnehmen. Das könnte falsch interpretiert werden, etwa so: »Er ist nicht zurechtgekommen und deshalb abgehauen.« Ich kann diesen Gedankengang nicht nachvollziehen. Es steht da eindeutig: »U-Haft im Ministerium für Staatssicherheit (MfS) Frankfurt Oder wegen Passvergehen (Fluchtversuch aus DDR).« Ich bin ein rehabilitiertes Stasi-Opfer und nie ein Vorbestrafter gewesen. Ich weiß nicht, was ich von Personalchefs halten soll, die da etwas anderes hineinlesen.
Aber mal ganz ehrlich, als ob das bei diesem Lebenslauf überhaupt eine Rolle spielt. Herr Morle soll mich bloß nicht zu einem Bewerbungsseminar schicken. Riesenaufwand für null Erfolg. Über eine reguläre Bewerbung werde ich nichts finden. Nicht in einer Zeit, in der hochqualifizierte 45-Jährige schon keine Chance mehr haben. Ich bin 62. Bei mir geht das höchstens noch so:
Führerschein haste?
Fahr’n kannste?
’n Auto haste?
Punkte haste keene?
Alkohol am Steuer is’ nich’?
Herzinfarkt, Ohnmachtsanfälle haste keene?
Denn kannste anfang’.
Das ist nicht pessimistisch, lieber Herr Morle, sondern realistisch.
Mein Lebenslauf sei gar nicht so schlecht, sagt er, ich hätte doch vieles unternommen. Ich denke an das Lied von Erika Pluhar »Man hat vieles gut begonnen, doch am Ende schlecht gemacht. Morgen muss es weiter geh’n, d’rum gute Nacht.«
Er sucht mir noch ein Stellenangebot raus. »Busfahrer: Umgang mit schwierigen Menschen«. Ich mache ihn wieder darauf aufmerksam, dass ich zwar den Taxi-, aber keinen Busschein habe. Nach Herrn Morle könnte mit dem Busschein ja der Taxischein gemeint sein und mit den schwierigen Menschen vermutlich Behinderte.
Zu Hause telefoniere ich mit dem Arbeitgeber: Es ist der richtige Busschein gemeint und die schwierigen Menschen sind wahrscheinlich besoffene Fußballfans. Besten Dank, ohne mich!
KAPITEL VIERZEHN
Vom Wurm und dem unsichtbaren Drachen namens Ohnmacht
In dem das Gefühl der Ohnmacht der unbesiegbare Drache ist, gegen den meine Mutter jeden Tag ins Feld zieht, während mein Vater versucht, aus sicherer Entfernung mit ihm fertig zu werden.
»Wenn ich kalt geworden nach Hause komme, suche ich in meinem leer gewordenen Gesicht nach dem Lächeln, das ich draußen vermisst habe und selbst nicht geben konnte. Ich vergesse, dass die Suche in meinem Gesicht alles nur schlimmer macht.« Mama
Als meine Mutter nach ihrem abgebrochenen Abitur zum ersten Mal in ihrem Leben Sozialhilfe beantragte, suchte sie nach anderen Betroffenen. In dem Berlin-Magazin »Zitty« stieß sie auf die Anzeige einer Frauengruppe, die sich regelmäßig traf, um Überlebenstricks und Tipps auszutauschen. Dort hat meine Mutter gelernt, dass man zweimal im Jahr Kleidergeld beantragen kann. Eine der Frauen habe sich mit allen Paragraphen ausgekannt und alles eingefordert, was möglich war, erinnert sich meine Mutter. Sie selbst wollte das nicht. »Ich habe für uns immer nur das beantragt, was wir wirklich brauchten. Darauf war ich stolz«, sagt sie noch heute.
Manchmal hätte ich mir
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