Nicht von schlechten Eltern - Meine Hartz-IV-Familie (German Edition)
Schule noch zum Aufräumen, Kochen und Putzen eingeteilt. Und da ich die Sprache noch nicht beherrschte, nahmen die Hausaufgaben viel Zeit in Anspruch.
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In der nächstgrößeren Stadt, Helsingborg, besaß die Gemeinde ein Café, in dem am Wochenende Eiswettessen organisiert wurden. Mit missionarischen Absichten. Ich bin als Clown verkleidetes Sandwich durch die Stadt gegangen, um Werbung dafür zu machen. Das hat mich anfänglich viel Überwindung gekostet. Aber in Schweden war alles anders. Ein neues Leben. Ich wollte nichts in Frage stellen.
Ich habe in diesen Jahren viel umsonst gearbeitet, in der Küche, bei der Betreuung von Ferienwohnungen, ich habe gebaut, renoviert und für ein Trio aus meiner Klasse Auftritte in Bars akquiriert, damit wir etwas für die geplante Klassenfahrt dazuverdienen konnten. Ich war in Helsingborg eifrige Schülerpraktikantin im Dreisternehotel Maria Plaza am Hafen. Ich hätte mich nie getraut, für alle diese Arbeiten etwas zu verlangen. Im Gegenteil: Ich habe sonntags mein letztes Geld voller Überzeugung in die Kollekte gegeben, im festen Glauben, dass irgendwann etwas zu mir zurückkommt. Wer gibt, für den wird Gott sorgen, steht sinngemäß in der Bibel.
Erst als die Menschen, die mir dort nahestanden, anfingen zu verschwinden, als mich meine Betreuerin »Oma Persson« nicht im Internat erreichen konnte, weil man behauptete, ich sei nicht da, stand ich vor einer neuen Situation. Ein interner Konflikt zwischen den Pastoren spaltete die Gemeinde. Oma Persson war die Mutter des Pastors, der sich dazu entschlossen hatte, die Gemeinde zu verlassen und eine eigene zu gründen. Seine Frau Barbara war meine Freundin, seine Mutter meine Oma Persson, sein Sohn Liam mein Klassenkamerad.
Plötzlich flüsterten die Lehrer mir zu, mit wem ich besser nicht so viel reden sollte, weil er oder sie eine schlechte Ausstrahlung habe. Plötzlich waren der deutsche Busfahrer und seine Mutter nicht mehr da. Plötzlich versteckten sich überall »Dämonen« auf dem Gemeindegelände. Da fing ich an nachzufragen – und gehörte nach wenigen Wochen zu einer Gruppe Abtrünniger, die vom Rest der Gemeinde aufmerksam beobachtet wurde. Auf einmal fielen mir viele Dinge auf, die nicht in Ordnung waren: Ich sah plötzlich ein ganzes Knäuel an Eitelkeiten, Machtspielen, Mobbing und Streit. Viele Beobachtungen, die ich in der nächsten Zeit machen konnte, ließen in mir immer stärker den beklemmenden Eindruck entstehen, dass ich in einer Sekte gelandet war. Ich entdeckte, dass es Menschen in der Gemeinde gab, wie unsere Mathematiklehrerin, die darum schon lange wussten, aber – um den Kontakt zu ihren Schülern aufrechtzuerhalten – eine Maske aufgesetzt hatten. Hätte man sie als kritisch entlarvt, hätte sie in der Schule nicht weiterarbeiten dürfen. Absolute Konformität zu den Visionen des Hauptpastors wurde erwartet. Wer zweifelte, war nicht stark genug im Glauben und musste Buße tun, um seine persönlichen Dämonen zu besiegen.
Ich war wenig involviert in diese Intrigen. Bis dahin war dieser Ort für mich eine Freikirche gewesen, die alles etwas radikaler anging als meine Gemeinde in Berlin. Nun aber war ich gezwungen, Stellung zu beziehen. Alle, die mit der abtrünnigen Pastorenfamilie sympathisierten, sollten entweder bereuen oder die Schule verlassen. Ich war nicht bereit, mich gegen Menschen zu stellen, die mich aufgenommen und herzlich behandelt hatten, ohne etwas dafür zu verlangen.
Es war ein Morgen, an dem unserer Klasse eine besondere Ehre zuteil werden sollte. Wir sollten vom leitenden Pastor selbst in »geistlicher Kriegsführung« unterrichtet werden. Eine dramatische Spannung lag in der Luft. Einige weinten. Die Mathelehrerin hatte uns vier Schüler, die wir unter Observation standen, darauf vorbereitet, dass man uns heute wahrscheinlich befragen würde: »Versucht auszuweichen, seht zu, dass ihr das Schuljahr beenden könnt«, riet sie uns.
Man rief uns einzeln ins Büro des leitenden Pastors, der auch Schuldirektor war. Mit ihm saßen dort seine Stellvertreterin und zwei weitere Personen aus der Gemeindeleitung. Unmittelbar bevor ich hineingerufen wurde, war meine Klassenkameradin weinend herausgekommen. Wir durften nicht mit ihr sprechen. Ich beschloss, ruhig zu bleiben, und setzte ein Lächeln auf, um mich undurchsichtiger zu machen. »Was grinst du so hämisch?«, raunzte der Pastor mich an. Vier durchdringende Augenpaare waren auf mich gerichtet. Dann prasselten Fragen auf
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