Nicht warten - starten
Zahnseide als die Studenten, die die »High Threat«-Botschaft gelesen hatten. Ich finde das erstaunlich. Sollte eine rational denkende Person nicht eher auf den Inhalt als auf das Bedrohungsniveau einer Nachricht reagieren? Schließlich stimmen alle darin überein, dass die Zahnreinigung mit Zahnseide sinnvoll ist, und die Information, dass andernfalls ernsthafte Folgen wie Lungenentzündung und Schlaganfall drohen, sollte selbst dem sorglosesten Zeitgenossen gehörig Angst einjagen. Tatsächlich aber war die Botschaft, in der die Autonomie der Studenten betont wurde, deutlich effektiver als diejenige, die auf die negativen Konsequenzen eines mangelnden Einsatzes von Zahnseide abhob. Offenkundig ist uns das Gefühl, selbst über unser Schicksal entscheiden zu können, wichtiger als der Schutz vor einer Lungenentzündung oder einem Schlaganfall.
Was könnte das nun übertragen auf den Arbeitsplatz bedeuten? Wenn Sie versuchen, einen widerwilligen Mitarbeiter dazu zu bringen, nicht mehr während der Arbeitszeit mit seinem Handy zu telefonieren oder mehr Bereitschaft zur Übernahme von Sonderprojekten zu zeigen, könnten Sie vielleicht auf die Idee kommen, ihm mit Entlassung oder einer anderen Sanktion zu drohen – der Arbeitsplatz-Version von »Sie müssen«. Tatsächlich aber ist es viel effektiver, wenn Sie dem Mitarbeiter helfen zu erkennen, warum es in seinem eigenen Interesse wäre, sich an das Handyverbot zu halten oder sein Arbeitspensum aufzustocken. So überraschend das auch erscheinen mag, wenn wir die Autonomie des Mitarbeiters respektierenund die endgültige Entscheidung ihm selbst überlassen, ist das – in Verbindung mit dem Instant-Influence-Ansatz – aller Voraussicht nach die wirksamste Strategie. Dasselbe gilt auch für die Kindererziehung. So unglaublich sich das auch anhören mag, unsere Kinder reagieren viel besser, wenn sie wissen, dass sie etwas nicht tun müssen.
Häufig versuchen wir andere dadurch zu beeinflussen, dass wir ihnen all die furchtbaren Dinge aufzählen, die eintreten könnten, wenn sie nicht das tun, was wir von ihnen wollen: »Wenn Sie nicht mehr Verantwortung übernehmen, müssen wir uns vielleicht von Ihnen trennen«, »Du musst abnehmen, sonst bekommst du irgendwann Diabetes«, »Wenn du nicht bald bessere Noten nach Hause bringst, wirst du nie auf die Uni gehen können«. Die meisten von uns haben diese Art der Abschreckungstaktik schon mindestens einmal angewendet – meistens mit wenig Erfolg.
Wie das Experiment mit der weniger und der stark bedrohlichen Botschaft deutlich macht, reagieren die meisten Menschen ablehnend auf Drohungen. Manchmal konfrontieren sie uns sogar unmittelbar mit einem Gegenargument: »Sie können mich nicht feuern. Joe arbeitet noch weniger – und er kommt dauernd zu spät«, »Mein Großvater hat sich noch schlechter als ich ernährt, und er ist 92 geworden!«, »Irgendeine Uni wird mich schon nehmen.« Und manchmal antworten sie, dass es ihnen egal ist: »Was soll’s, dann schmeißen Sie mich halt raus!«, »Tja, wenn deine Zeit gekommen ist, dann ist sie eben gekommen« oder »Wer sagt denn, dass ich studieren möchte?«.
Das Gesetz der psychologischen Reaktanz lässt sich nur schwer überwinden. Zum Glück gibt es eine einfache Lösung, egal, ob wir uns selbst oder andere motivieren möchten. Verzichten Sie auf Anweisungen und Drohungen und konzentrieren Sie sich stattdessen auf die Wünsche und Gründe, die zu Instant Influence führen. Natürlich werden Sie gelegentlich nicht umhinkommen, Konsequenzen anzudrohen (und diese auch umzusetzen). Aber benutzen Sie die Androhung von Konsequenzen nicht, um jemanden damit zu beeinflussen; dafür sind andere Formen der Motivation besser geeignet.
Zugang zur eigenen Motivation finden
Das zweite Prinzip von Instant Influence lautet: »Jeder besitzt bereits ausreichend Motivation.« Dieses Prinzip basiert zum Teil auf Studien zur Depression, die 2005 von dem klinischen Psychologen Martin Seligman durchgeführt wurden. 7 Zu den fatalsten Aspekten der Depression zählen der Mangel an Energie und das Gefühl der Hoffnungslosigkeit, die jede Verhaltensänderung schon im Ansatz unmöglich erscheinen lassen. Wenn Sie jemandem, der unter Depressionen leidet, sagen, er werde sich besser fühlen, wenn er erst einmal hinausgeht und etwas tut, was ihm Spaß macht, wird er Ihnen wahrscheinlich antworten, dass ihm dazu die Energie fehlt und es ohnehin nichts bringen würde.
Seligman
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