Nichts als Erlösung
Leicht, fast träumerisch klingt das, und trotzdem setzt sich die Melodie sofort in ihm fest, hartnäckig wie eine neue Liebe, wenn noch alles möglich scheint, wenn es noch keinen Alltag gibt.
»Du musst dich entscheiden«, sagt Sonja, als er vor ihrer Wohnung hält.
»Ich hab mich entschieden.«
Sie schüttelt den Kopf und steigt aus, beugt sich dann noch mal zu ihm runter. »Dein Körper vielleicht und dein Kopf«, sagt sie. »Aber nicht dein Herz.«
***
Es ist warm, viel zu stickig, und im Aufwachen glaubt er, in dem winzigen, schlauchförmigen Zimmer zu liegen, das er sich als Kind mit seiner Schwester teilte. Alles ist wieder da: Der Lattenrost des oberen Stockbetts viel zu dicht über ihm, der Geruch von Schweiß und Pupsen und alten Socken und Plastikspielzeug, das fest geschlossene Fenster, weil der Verkehrslärm sonst unerträglich ist. Er zwingt sich zurück in die Gegenwart. Der Geruch von Sex schwebt noch im Raum. Neben sich erkennt er die Kontur von Sabines Körper und darüber das helle Quadrat des weit geöffneten Fensters. Doch die Luft, die hereinströmt, birgt keine Kühle.
Eric Sievert setzt sich auf. Sabine murmelt etwas im Schlaf, in ihrer Halskuhle schimmert die Herzkette aus dem Steiner Wald. Echtes 750er Rotgold, eine fein geschmiedete Handarbeit. Gleich nachdem er die Kette gereinigt hatte, war ihm klar, dass sie für Sabine wie geschaffen ist. Stilvoll und edel und kein bisschen kitschig.
Hätte er ihr sagen sollen, dass das Schmuckstück kein liebevoll für sie angefertigtes Unikat ist, sondern ein Zufallsfund, den er beim Sondengehen gemacht hat, und dass es vermutlich irgendjemand mit gebrochenem Herzen in dem Naturschutzgebiet vergraben hat? Vielleicht, ja, vermutlich hätte sie sich trotzdem darüber gefreut. Aber jetzt ist es zu spät, genauso, wie es zu spät ist, ihr von dem Bronzeschild zu erzählen. Vielleicht war es ein Fehler, dem Drängen der Händler nachzugeben und so schnell zu verkaufen, Kurt hat schon recht, es ist Raubgräberei. Doch allzu dramatisch kann der Verlust für die Archäologie nicht sein, der Schild war ja ein Einzelstück, kein Bestandteil eines Schatzes, der durch den Deal mit darkcave nun auf immer in alle Himmelsrichtungen verstreut worden ist. Und falls er tatsächlich noch mehr findet, kann er ja alles besser machen: Sabine einweihen, Kurt, die Landesarchäologen, mit denen Kurt so dicke ist, egal, wie sehr darkcave um Nachschub bettelt. 17000 Euro! Unglaublich, wie einfach der Handel war. Jetzt liegt die Kohle gut versteckt in seiner Werkstatt, eine Reserve für härtere Zeiten. Sabine lässt ihn zwar nie merken, dass er sehr viel weniger verdient als ihr Ex, doch ihre Familie darum umso mehr, einen Handwerker als Schwiegersohn, der es mit Mitte 40 noch nicht mal zum Meister gebracht hat, haben die nie akzeptiert. Vielleicht sollte er den Kontakt mit darkcave doch nicht abbrechen, man weiß ja nie. Aber das ist nur Spekulation, Zukunftsmusik, erst einmal muss er herausfinden, ob es im Steiner Wald wirklich noch mehr zu holen gibt.
Er schleicht ins Bad und zieht sich an, horcht im Flur ein paar Sekunden lang auf die Atemzüge der Kinder. Erst am späten Nachmittag hatten Jans Hustenattacken nachgelassen, und als Jan und Julia endlich schliefen, waren Sabine und er so froh, dass sie sich eine Flasche Sekt und Take-away-Essen vom Inder gönnten. Und da hatte er Sabine die Kette geschenkt. Einfach so, aus einem Impuls heraus. Weil sein Leben mit ihr so viel besser ist, weil selbst die alten Wunden nicht mehr so schmerzen.
Draußen ist es still, und die Luft ist schwer vom Duft des Lavendels, den Sabine gepflanzt hat. Er blickt zu Kurts Haus hinüber. Die Fenster sind dunkel, der Carport ist leer. Ist Kurt mit Marion ausgegangen, an einem Sonntagabend, oder ist auch er mit der Sonde unterwegs? In letzter Zeit haben sie sich nur selten gesehen, Kurt wirkt neuerdings reserviert, als ahne er, dass Eric nicht ganz legale Wege beschreitet, oder bildet er sich das nur ein? Wie auch immer, die Distanz muss nicht von Dauer sein, auch Sabine und Marion sind schließlich befreundet.
Die Straßen sind wie tot, und er fährt mit heruntergelassenen Fenstern, erst über die A 5 und dann auf der B 47 in Richtung Biblis, eine Route, die vor 1500 Jahren bereits die Nibelungen nutzten, um vom Odenwald an den Rhein zu gelangen. Er versucht sich die Welt damals vorzustellen: die Dunkelheit, die Leere, die stillen Wälder, die Sumpfgebiete längs des Rheins. Wie
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