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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Unbehagen bleibt. Als ob der Täter ganz nah wäre. Als ob er sie sähe.
    ***
    »Nehmt doch noch … bitte … und Sahne … die ersten Pflaumen, so früh im Jahr … aber schon süß und ich dachte …«
    Mannis Mutter fegt einen nur in ihrer Einbildung vorhandenen Krümel von der Tischdecke und schiebt ihm das nächste Stück Kuchen auf den Teller, seinen Protest ignorierend.
    »Sein Lieblingskuchen«, sagt sie zu Sonja und sprudelt gleich weitere atemlose Halbsätze hervor: »… nichts gesagt … schweigt sich über Sie aus … und nun … so eine Überraschung … so eine Freude …«
    Manni rammt seine Gabel in das Kuchenstück. Seit einer Stunde geht das nun schon so. Seit dem Moment, in dem er mit Sonja über die Schwelle trat und seine Mutter mit einem schnellen Kennerblick erfasst hat, wie es um Sonja steht. Aber was heißt schon Kennerblick. Niemand kann Sonjas Zustand mehr übersehen. Jetzt, im sechsten Monat, schwillt ihr Bauch in einem beängstigenden Tempo an. Fast von Tag zu Tag, wie es scheint. Sonjas Hand tastet unter dem Tisch nach seinem Knie und krabbelt von dort seinen Oberschenkel hoch. Sein Körper reagiert augenblicklich, wie ein pawlowscher Köter. Letzte Nacht, als er endlich nach Hause kam, haben sie es so wild und geil getrieben wie schon lange nicht mehr, so wie ganz zu Anfang, als noch alles erschien wie ein Abenteuerspiel. Er entzieht Sonja sein Bein und fühlt ihren Blick auf sich. Sie ist immer noch schön, immer noch sexy, aber auf eine neue, weiche Art. Weiblicher, denkt er. Mütterlich.
    Er trinkt einen Schluck Kaffee und verbrennt sich die Zunge. Seit dem Tod seines Vaters hat sich in seinem Elternhaus so gut wie nichts verändert. Sogar der KURIER liegt adrett gefaltet auf dem Beistelltisch neben dem Fernsehsessel bereit. Als ob der Alte jede Sekunde wieder aus dem Grab springen und danach verlangen könnte. Oder hat seine Mutter die Rituale des Alten übernommen? Auch das erscheint möglich, eine Art Kompensation, schließlich hat Günter Korzilius seine Mitmenschen selbst noch vom Rollstuhl aus tyrannisiert, und Spaß und Erholung waren Zustände, die er insbesondere seinen Liebsten und Nächsten nicht gönnte.
    »Manfreds Sachen … von damals …« Seine Mutter Springt auf und ergreift Sonjas Hand. »… und sein Kinderzimmer! Kommen Sie, Sonja, oder soll ich jetzt Du sagen … ein Geschwisterchen haben wir ihm ja leider nie schenken können … ich hab trotzdem alles aufgehoben … immer gehofft … sogar das Taufkleid und sein Nachttöpfchen.«
    »Wirklich?« Sonja betrachtet Manni forschend, ein winziges Lächeln zuckt in ihrem Mundwinkel, als sie sich von Mannis Mutter Richtung Treppe ziehen lässt.
    Er nutzt die Gunst der Stunde und ruft Judith Krieger an, die ihm die letzten Neuigkeiten berichtet. Neuigkeiten, die nichts anderes als eine stetig wachsende Ausschussliste sind: Keine Zeugen und keine Vermisstenmeldung, die Fingerabdrücke des Opfers sind in der Polizeidatenbank nicht registriert. Immerhin ist die Petrowa zuversichtlich, bereits am nächsten Morgen die DNA des Opfers zum Abgleich ans Bundeskriminalamt schicken zu können.
    Er blättert durch den KURIER, liest den Bericht über den Toten ohne Gesicht und betrachtet das Foto, auf dem Kollegin Krieger mehr Haut zeigt, als er je für möglich gehalten hätte. Vielleicht liegt das an ihrem neuen Freund. Er überfliegt den Sportteil und legt den KURIER wieder weg. Von oben hört er die Stimmen von Sonja und seiner Mutter. Irgendwo in seinem Hinterkopf lauert eine vage Erinnerung an das Gebrüll seines Vaters, weil es mit dem Nachttöpfchen wohl nicht gleich geklappt hatte. Oder bildet er sich das ein, war sein Vater zumindest am Anfang glücklich?
    »Du willst es nicht«, sagt Sonja später, als sie zurück nach Köln fahren. Früher als geplant, weil er sich mit der Krieger zu einer weiteren Ortsbegehung verabredet hat.
    »Was will ich nicht?« Er hört selbst, wie aggressiv seine Stimme klingt, schafft es aber nicht, das zu ändern.
    »Das Kind. Uns«, erwidert Sonja sehr sachlich, als habe diese Erkenntnis überhaupt nichts mit ihr zu tun.
    »Quatsch, das ist Quatsch, Sonni. Jetzt hast du sogar meine Mutter kennengelernt.«
    »Sie ist gar nicht so schlimm. Und sie freut sich so.«
    »Dann ist doch alles gut.«
    Sie antwortet nicht, und als sich das Schweigen immer mehr ausdehnt, schaltet er das Autoradio ein. Ifyou love nie, I’ll make you a star in my universe, haucht eine Sängerin wie auf Kommando.

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