Nichts als Erlösung
locker. Am 17. Juli überredete sie ihren Mann, eine Leiter ans Haus der Vollenweiders zu stellen und in die oberen Fenster zu schauen. Danach haben sie dann unverzüglich erneut die Polizei gerufen, und diesmal mit Erfolg.«
Dannenberg schiebt die Akte beiseite, klickt mit der Maus, und statt des Badebucht-Panoramas erscheint kurz darauf das Foto eines Ehebettes vor einer über und über mit Blut bespritzten Wand auf der Leinwand.
»So sah das oben aus, als wir ankamen«, sagt er mit der Emotionslosigkeit des altgedienten Ermittlers. »Ein Blutbad, das sich vom Schlafzimmer bis zur Treppe zog.«
»Wie seid ihr vorgegangen?«, fragt Millstatt.
Dannenberg nickt, als habe er diese Frage erwartet. »Nur mal so zur Erinnerung: Das war 1986. Damals gab es noch keine DNA-Tests. Und auch kein Internet, keine Mails, keine GPS-Ortung, keine Handys – weshalb es eben drei weitere Tage dauerte, bis wir Jonas Vollenweider auf einem Campingplatz in Konstanz ausfindig machten und somit wirklich sicher sein konnten, dass er nicht auch zu den Opfern gehörte.«
Er macht eine Pause, starrt das Tatortfoto auf dem Bildschirm vor sich an.
»Wir haben damals sehr klassisch und absolut akribisch ermittelt: Fingerabdrücke, Fasern, Einbruchspuren, Reifenspuren und Fußabdrücke, drinnen und draußen, Korrespondenzen, Kontoauszüge, Sparbücher, und so weiter und so fort, das volle Programm. Anzeichen für einen Einbruch gab es nicht. Die Menge des Bluts und die Spritzspuren an der Wand sprachen dafür, dass in dem Schlafzimmer mehrere Personen getötet oder zumindest schwer verletzt worden waren. Mit zwei verschiedenen Blutgruppen, nämlich A+ und 0+. Weitere erhebliche Blutspuren, ebenfalls A+, fanden sich auf der Treppe, die unters Dach zum Schlafzimmer der Tochter führt.«
»Drei Tote also«, konstatiert die Krieger.
»Tja, das ist die Frage.« Mit einem Mausklick beamt Dannenberg ein weiteres Tatortfoto an die Wand. »Im Jahr 2001 wurde im Zuge einer Überprüfung ungelöster Kapitaldelikte aus den Asservaten von damals mit großem Aufwand DNA generiert, in der Hoffnung, den Fall auf diesem Wege doch noch zu klären. Erfolglos, leider. Aber immerhin wissen wir seitdem mit Sicherheit, dass das Blut im Treppenhaus zum Teil von Miriam stammte, das im Schlafzimmer aber ausschließlich von ihren Eltern. Alle drei wurden also definitiv verletzt. Was wir jedoch nicht sagen können, ist, ob alle Verletzungen tödlich waren.«
»Weil wir die Leichen nicht gefunden haben«, präzisiert Schneider unnötigerweise.
»Und die Tatwaffe?«, fragt Manni.
Dannenberg nickt. »Tja, noch so ein Rätsel. Nach der Analyse der Spritzmuster an der Wand tippte die KTU auf ein Beil. Doch definitiv sicher ist das nicht, dafür hat der Täter gesorgt. Er hat ein Stück vom Kopfteil des Bettes rausgesägt und mitgenommen, wohl weil sich daraus Rückschlüsse auf die Tatwaffe ziehen lassen. Die Matratzen des Ehebetts fehlten ebenso wie der Teppich aus dem Treppenhaus. Deshalb konnte man schlicht nicht feststellen, wie viel Blut die Opfer eigentlich verloren hatten. An der Wand im Schlafzimmer fanden wir neben Blut auch Hirnmasse, die wir nach den heutigen Erkenntnissen ganz klar der Mutter zuordnen können. Die dürfte also in jedem Fall tot sein. Aber Vater und Tochter?« Dannenberg wischt sich mit der Rechten Schweißperlen vom Schädel. »Wenn ihr mich fragt – ich bin heute genauso wie damals davon überzeugt, dass auch Vater und Tochter Vollenweider in jener Nacht ermordet wurden. Denn wie ist es sonst möglich, dass sie tatsächlich auf Nimmerwiedersehen spurlos verschwanden? Und was den Täter angeht: Motiv, Gelegenheit – natürlich haben wir damals in alle Richtungen alles überprüft. Den früheren Arbeitsplatz der Eltern – ein Kinderheim in der Eifel – ihre Finanzen, Nachbarn, Freunde, mögliche Liebschaften und Feinde. Da fand sich nichts, einfach nichts, aber es gab eine Handvoll Fakten: Jonas Vollenweider hatte das Abitur geschmissen und war im Streit von zu Hause ausgezogen, hangelte sich mit Gelegenheitsjobs durch. Sein Verhältnis insbesondere zu seinem Vater war zerrüttet. Auch Jonas selbst hat das nicht geleugnet. Er gab sogar zu, dass es während der Geburtstagsfeier seiner Schwester erneut zum Streit kam, weshalb er nicht wie ursprünglich geplant über Nacht geblieben sei. Ein Motiv war also vorhanden, und dazu kommt, dass er am Tag der Tat nachweislich am Tatort war und dass die Haustür keinerlei Einbruchspuren aufwies.
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