Nichts als Erlösung
Lieblingsermittlerin, die er im Frühjahr dennoch um ein Haar rausgeworfen hätte, nach vorn, kaum dass sie alle im Besprechungsraum versammelt sind: Meuser, die Munzingers, die Kommissariatssekretärin sowie die einzigen beiden ad hoc greifbaren Kollegen, die vor zwei Jahrzehnten in der Causa Vollenweider ermittelt haben, Kai Dannenberg und Rolf Schneider. Manni zerbeißt ein Fisherman’s und mustert die beiden. Dannenberg, ein heftig transpirierender Glatzkopf mit Riesenschnäuzer, leitet inzwischen das Dezernat Opferschutz, Schneider, ein drahtiger Mittfünfziger mit grauem Bürstenhaarschnitt, ist schon seit Jahren Hauptkommissar bei den Kollegen vom Einbruch und dort auf KFZ-Diebstahl spezialisiert. Beide waren vor 20 Jahren nur kleine Rädchen im KK 11, für Schneider war es sogar sein erster Einsatz in einer Mordkommission. Doch der damalige MK-Leiter ist vor fünf Jahren an Darmkrebs gestorben, und sein Stellvertreter lebt seit der Pensionierung in Australien.
Die Krieger setzt sich an den Laptop am Kopfende des Konferenztischs, ihre widerspenstigen rotbraunen Locken sind mit einem Gummiband zu einem schiefen Pferdeschwanz zusammengezerrt. Auch ihr sonstiges Outfit gemahnt heute mal wieder an die gute, alte Hippiezeit: schwarz lackierte Zehennägel, Jeans und eine Baumwollbluse mit Indienstickerei. In ihrem sommersprossigen Dekollete, das die Kollegen Dannenberg und Schneider offenbar sehr fasziniert, perlt Schweiß. Vorhin hat sie so laut ins Telefon gebrüllt, dass es bis in die Nachbarzimmer zu hören war. Irgendwas von Drecksschmierblatt und Erpressung und lassen Sie mich in Ruhe. Jetzt ist von ihrer Wut nichts mehr zu spüren, genauso wenig wie von ihrem Verfolgungswahn vergangene Nacht in der Altstadt, mit dem sie ihn beinahe angesteckt hätte.
»Jonas Vollenweider. Geboren am 3. Januar 1964 in Köln.« Sie klickt mit der Maus, und der Beamer projiziert das Gesicht des nun endlich identifizierten Altstadt-Opfers an die Wand. »1986 wurde er des Mordes an seinen Eltern und seiner Schwester verdächtigt. Er selbst hat dies vehement geleugnet, und weil es letztendlich keine handfesten Beweise gegen ihn gab, wurde er nicht verurteilt. Wenige Wochen nach seiner Freilassung aus der Untersuchungshaft ist Jonas Vollenweider in seinem VW-Bus nach Griechenland gefahren, wo er seitdem lebte, präzise gesagt auf der Insel Samos.«
Die Krieger streicht sich eine Locke, die dem Gummiband entkommen ist, aus dem Gesicht und furcht die Stirn, als würde ihr Vollenweiders Wahlheimat nicht gefallen.
»Samos also«, sagt sie, tippt etwas in den Laptop, und im nächsten Moment glotzen sie alle auf ein sehr blaues Meer und einen Sandstrand und auf einen braun gebrannten Jonas Vollenweider, der an einem typisch griechischen blau-rot-weiß gestrichenen Fischerboot lehnt, Arm in Arm mit einer sportlichen Blondine, die Manni vage an Sonja erinnert. Sonja, bevor sie schwanger war.
»Jonas Vollenweider war Tauchlehrer. Wie übrigens schon vor 20 Jahren, als das Verbrechen an seiner Familie geschah, nur dass er damals am Bodensee unterrichtet hat«, erklärt die Krieger, während sich über dem Boot ein Slogan aufbaut: ›Willkommen in Limnionas – Aktivferien im Paradies‹.
»Wer ist die Frau neben ihm?« Schneider wechselt einen Seitenblick mit Dannenberg.
»Lea Wenzel, Vollenweiders Geschäftspartnerin und vielleicht auch Lebensgefährtin. Die beiden bieten auf Samos Bootstouren, Ausflüge und Unterkünfte an, wenn man ihrer Website glauben kann. Ein griechischer Kollege ist in diesem Moment auf dem Weg zu ihr, um sie über Vollenweiders Tod zu informieren. Sie muss natürlich so schnell wie möglich nach Deutschland kommen.« Die Krieger holt Luft. »Am 31. Juli, etwa fünfzehn Stunden vor seiner Ermordung, ist Jonas Vollenweider um 10:35 Uhr morgens mit einem Air-Berlin-Flug von Samos via Nürnberg in Köln-Bonn gelandet. Nur mit Handgepäck übrigens. Wo er sich danach aufhielt, wissen wir noch nicht. Sicher ist aber, dass er bereits am folgenden Tag, also Samstag, zurück nach Griechenland fliegen wollte, und zwar mit der Lufthansa direkt nach Athen. Die Maschine flog planmäßig um sechs Uhr früh ab Köln. Vollenweider war natürlich nicht an Bord.«
Gemurmel ist die Antwort. Papiergeraschel. Ein Köln-Aufenthalt von weniger als 24 Stunden kommt gewissermaßen einer Punktlandung gleich, auch für Vollenweiders Mörder.
»Vielleicht hatte er hier in Köln nicht mal eine Unterkunft gebucht, sondern nur schnell
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