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Nichts als Erlösung

Nichts als Erlösung

Titel: Nichts als Erlösung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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sie adressiert. Vielleicht ist er der Mörder, nach dem sie suchen. Sie versucht, in sich hineinzuhorchen, irgendein Gefühl für diesen Mann zu bekommen, wie sonst in Vernehmungen, aber sie spürt nichts, gar nichts. Es ist, als ob er gar nicht richtig anwesend ist, als ob der richtige Kurt Böhm, der sich bei ihrem Anblick vorhin im Garten erschrocken hatte, einfach verschwunden ist und nur eine Hülle zurückgelassen hat.
    Das Pferd fällt ihr ein, seine wilde Flucht, der verzweifelte Heimjunge, den Lea erwähnte, die Pädagogik der Johanna Haarer. Den freien Willen gilt es zu brechen. Ist das der Ursprung, liegt hier das Motiv des Täters? Rache für eine Kindheit, in der seine Erzieher alles daransetzten, ihn verstummen zu lassen, und ihm beibrachten, dass niemand ihn hört oder rettet, wenn er aufbegehrt, dass sein Schreien und Weinen nur zu immer größerer Einsamkeit führt? Manni will etwas sagen, will Böhm provozieren und ihn so aus der Reserve locken, aber Judith schüttelt den Kopf, denn sie ist auf einmal sicher, dass es so funktionieren wird, dass sie Böhm so erreichen, auf Druck wird er nur mit noch mehr Schweigen reagieren.
    »Wenn es gar nicht ging, gab es das Besinnungszimmer«, zitiert sie die Worte der alten Erzieherin leise. »So war es doch, ja? Jungs, die nicht gehorchten, wurden dort eingesperrt.«
    Böhm antwortet nicht, aber er sieht aufmerksamer aus. Kein, wachsam, denkt sie. Als würde er wittern, sich für etwas wappnen.
    »Erzählen Sie mir davon, erzählen Sie mir, wie es war.«
    »Ein Raum im Keller, eine Holzpritsche, ein Eimer, kein Licht.«
    »Und dann?«
    Er hebt die Schultern. »Nichts weiter, warten.«
    »Wie lange?«
    »Es gab keine Uhr dort.«
    »Wie lange ungefähr?«
    »Stunden, manchmal länger.«
    »Einen Tag, mehrere Tage?«
    »Man hatte keinen Einfluss darauf, man konnte nur warten.«
    Ein Bild springt sie an, so deutlich, dass sie einen Moment lang glaubt, es wirklich einmal gesehen zu haben: ein Junge auf einer Pritsche, zusammengekrümmt, mit leerem Blick, jenseits aller Hoffnung, jenseits aller Macht.
    »Die Hilflosigkeit war am schlimmsten, nicht wahr? Nicht zu wissen, wie lange es dauern würde, nicht zu wissen, ob man in diesem Raum nicht vielleicht ganz einfach vergessen worden war.«
    »Das ist doch alles vorbei, warum quälen Sie mich damit, was soll das denn bringen?«
    Quälen. Hinter Böhms Rücken nickt Manni ihr zu. Mach weiter, heißt das. Gleich hast du ihn.
    »Die Vollenweiders haben Sie also gequält.«
    Böhm schüttelt den Kopf, langsam, als habe er Schmerzen. Der Anflug von Leidenschaft, den sie gerade noch an ihm wahrgenommen hat, erlischt, wieder kann sie ihn nicht spüren, nur diese seltsame Leere, in der er sich verbirgt wie in Nebel. Er ist gefährlich. Er hat sich viel zu gut unter Kontrolle. Aber das reicht nicht, reicht bei weitem nicht. Der Staatsanwalt würde lachen, sollten sie es wagen, nur aufgrund dieses Gefühls und des Hinweises darauf, dass Böhm im Kinderheim Frohsinn aufgewachsen ist und schon lange in Darmstadt lebt, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen.
    »Darf ich mal Ihre Toilette benutzen?«, fragt Manni vom Fenster her.
    Böhm zuckt zusammen, offenbar hat er Manni für ein paar Sekunden vergessen, doch er hat sich sofort wieder im Griff. »Geradeaus durch den Flur, und dann links neben der Eingangstür.«
    Die Luft scheint sich abzukühlen, sobald Manni das Wohnzimmer verlassen hat, die Nähe zu Böhm ist ihr beinahe unerträglich. Sie beginnt zu schwitzen, kalten, ungesunden Schweiß. Sie fährt sich mit den Händen über die nackten Oberarme, räuspert sich, versucht wieder zu ihm durchzudringen.
    »Man hat Sie also gequält im Kinderheim Frohsinn.«
    »Was wollen Sie eigentlich von mir?« Böhm macht eine Geste zum Garten hin, als wolle er etwas durchschneiden. »Mein Leben ist gut. Das ist, was zählt. Mehr habe ich Ihnen nicht zu sagen.«
    »Kennen Sie diesen Wald?« Sie legt die beiden neusten Fotos, die der Täter ihr geschickt hat, vor ihn auf den Tisch, sieht, wie sich seine Pupillen verengen.
    Er weiß, wo das ist, er weiß das ganz genau. Doch er gibt es nicht zu. Egal, wie sehr sie sich auch anstrengt, sie dringt nicht zu ihm durch. Und dann, gerade als sie kurz davor ist zu schreien, kommt Manni zurück, wirft einen kurzen Blick auf die Fotos und lächelt.
    »Interessantes Hobby haben Sie, Herr Böhm«, sagt er eine winzige Spur zu freundlich und hält ihm einen gerahmten Zeitungsartikel vor die Nase, in

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