Nichts als Erlösung
Mal Ekaterinas Worte: Man findet nicht immer das, was man erwartet.
Er stellt sich den Täter in Miriams Zimmer vor, versucht zu kapieren, was er dort wollte. Zum Tatort zurückkehren. Die Tat noch einmal durchleben. Den Triumph auskosten, dass er, der als Kind kein Zuhause hatte, nun das Heim seiner einstigen Peiniger für sich allein hat. Und dann sieht er eines Tages das Maklerschild, und deshalb muss auch Jonas sterben. Weil er das Haus für sich haben will. Aber wenn es so war, wenn der Täter wirklich in diesem Haus ein und aus geht, warum hinterlässt er dann außer ein paar schwarzen Fasern keinerlei Spuren?
Sie gehen das noch einmal durch, kommen trotzdem nicht wirklich weiter. Nur seine Unruhe wächst. Das Gefühl, dass der Täter ihnen schon wieder voraus ist, dass er viel zu gut über ihre Ermittlungen Bescheid weiß, dass sogar das zu diesem Spiel gehört, das er mit ihnen spielt.
»Vielleicht solltest du Personenschutz beantragen«, schlägt er der Krieger vor, als sie sich verabschieden.
Sie schnaubt. »So besorgt ist Millstätt nun auch wieder nicht.«
Darmstadt liegt vor ihm. Kurz darauf fährt er durch eine Straße, die von hohen Gründerzeitmietshäusern gesäumt ist, passiert einen von Kastanien beschatteten Biergarten, biegt nach links ab und erreicht nach kurzer Fahrt das Viertel, in dem Sieverts Schwiegereltern leben. Doch von diesen Schwiegereltern ist nichts zu sehen, Eric Sievert selbst öffnet ihm die Tür und führt ihn ins Esszimmer. Seine Frau hat dort offenbar mit ihm auf Manni gewartet. Sie springt vom Stuhl auf, um ihn zu begrüßen, setzt sich dann wieder, dicht neben Sievert, Manni gegenüber.
Er trinkt von dem Wasser, das sie ihm ungefragt hinstellen, mustert die beiden. Etwas hat sich verändert zwischen ihnen, lässt ihn unwillkürlich an Sonja denken, die Entscheidung, die er noch treffen muss, oder schon getroffen hat, ohne es ihr zu sagen. Aber das ist ein anderes Thema, das muss noch warten.
Sieverts Frau trägt die Kette nicht mehr, das goldene Herz, Miriams Herz, er ist schlagartig sicher, dass es so ist. Aber es macht ihn nicht froh, es ist nicht mal erleichternd, es erfüllt ihn stattdessen mit eisiger Wut. Eine Wut, die nicht abebbt, auch wenn ihm die beiden die Kette sofort übergeben.
Wieder jagt er den Mondeo auf die Autobahn, zurück zum Steiner Wald, ein weiteres Mal. Sievert hockt neben ihm, unentwegt plappernd. Ich wusste doch nicht, konnte doch gar nicht wissen, wollte doch nicht, und die Kette war doch ganz woanders vergraben als die Knochen, und sie lag gar nicht so tief im Boden, fast so, als hätte jemand die nur halbherzig vergraben, oder vielleicht nur verloren oder weggeworfen.
Die Dunkelheit kommt jetzt schnell, doch im Wald leuchten die Scheinwerfer der Spurensicherung. Als sei ein Raumschiff mit Außerirdischen dort gelandet, sieht das aus.
»Das war nicht hier«, sagt Sievert, als sie die Lichtung erreicht haben. Seine Augen flackern zu dem Grab, das die Spurensicherer inzwischen vollständig freigelegt haben.
Einer der Rechtsmediziner nimmt Manni beiseite.
»Die Schädelverletzung ist anders als bei denen von gestern, so viel kann ich schon sagen. Die Folge von stumpfer Gewalteinwirkung, vielleicht auch von einem Sturz.«
Ein anderes Grab. Ein anderer Tatmodus. Oder nur ein Unfall. Das bestätigt exakt, was schon Ekaterina Petrowa gesagt hat, aber was hat es zu bedeuten?
»Zeigen Sie mir, wo die Kette lag.« Manni packt Sieverts Arm und zerrt ihn zur Seite. Weg von dem Grab, von Miriams Grab, denn das muss es sein, denkt er. Muss es einfach sein.
Sievert zückt sein GPS-Gerät, führt ihn dann von der Lichtung ins Unterholz, in Richtung Rhein, soweit Manni das nachvollziehen kann. In Richtung Rhein und NATO-Straße. Er versucht es sich vorzustellen. Das Grauen in dem Haus. Miriam, die aufwacht und aus ihrem Zimmer stürmt, und dann auf der Treppe ausrutscht und fällt und sich tödlich verletzt. Vielleicht wollte der Täter sie gar nicht töten, vielleicht hat er sie deshalb an anderer Stelle begraben als ihre Eltern. Vielleicht kommt als Täter Felix Schmiedel infrage. Aber hätte der in seinem Frust nicht vielmehr die Frau getötet, die ihn abblitzen ließ, als deren Eltern?
»Hier war das, genau hier.« Sievert bleibt stehen und leuchtet mit seiner Taschenlampe auf den modderigen Boden.
Manni nickt. »Wie weit ist es von hier bis zum Ende des Fahrwegs?«
»Etwa 100 Meter.«
100 Meter zu Fuß mit einer Toten auf dem Rücken. Einer
Weitere Kostenlose Bücher