Nichts als Erlösung
die gute Roswitha beinahe bewundert, und nun kommt sie ihm dermaßen himmelschreiend naiv? Aber sie bleibt dabei, sosehr er auch nachbohrt. Felix sei wieder an den Gardasee gefahren, sie habe doch keinen Mörder geheiratet, um Himmels willen, was denke er denn von ihr? Und dann, gerade als er glaubt, dass er schreien muss, weil sie so dämlich ist, klingelt es, und Roswitha springt auf und verschwindet im Haus, also gibt es diese Freundin, von der sie vorhin gesprochen hat, wohl tatsächlich. René Zobel steht auf. Zwei Frauen dieses Kalibers sind definitiv zu viel für ihn, das ist also ein perfekter Moment, um sich zu verabschieden. Denn es ist eine Frau, die gekommen ist, das hört er, als die beiden näher kommen. Aber irgendwas stimmt nicht, und bevor er kapiert, was Sache ist, steht auch schon Judith Krieger vor ihm, grinsend wie ein ausgehungerter Piranha, der ganz unverhofft einen Leckerbissen zwischen die Zähne kriegt.
»Die Zeit ist reif, Herr Zobel«, sagt sie. »Reif für den Deal, den Sie sich so sehr wünschen.«
***
Um 17:48 Uhr finden sie endlich den Baumstumpf von den Fotos. Um 19:02 Uhr stoßen sie drei Meter daneben auf die ersten menschlichen Knochen. Eine halbe Stunde später liegen Brust und Schädel frei. Das Skelett eines erwachsenen Menschen, ob weiblich oder männlich, lässt sich nicht sagen, auch Identität, Todesursache und Liegedauer sind vorerst nicht feststellbar. Aber Zähne und Kiefer sind erhalten, und es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn sie hier nicht die sterblichen Überreste Miriam Vollenweiders gefunden hätten, denn wer außer ihr sollte hier begraben worden sein, im selben Wald wie ihre Eltern?
Manni richtet sich auf, die KTU-ler beginnen wieder zu schaufeln. Rudi. Rudolf. Rudolph. Rüdiger. Berufssoldat zumindest bis 1981. Vermutlich Jahrgang 1954-1958. Oder ein bisschen älter oder jünger. In Darmstadt stationiert im Spätsommer 1981. Bei der Bundeswehr haben sie herzlich gelacht, als er ihnen diese mageren Angaben präsentierte, und schließlich versprochen, ihr Bestes zu geben. Auf der Liste der ehemaligen Zöglinge des Kinderheims Frohsinn gibt es zwei Rudolfs und einen Rüdiger, die die Kollegen in Köln nun bevorzugt überprüfen, doch sein Gefühl sagt ihm, dass das nichts bringen wird, dass sie den Namen des Täters auf dieser Jugendamts-Liste nicht finden.
Etwas nagt in ihm, irgendwo in seinem Hinterkopf. Eine Information über den Täter, die sie schon haben, aber nicht richtig bewerten. Er geht das Profil noch mal durch, das sich allmählich herauskristallisiert. Ein Mann um die fünfzig auf Rachefeldzug, der will, dass seine Opfer ihr Gesicht verlieren. Die M 417 aus dem Kinderheim Frohsinn. Ein Mann mit Mutterkomplex, der als Kind von seinen Heimeltern gehänselt und gequält wurde und später Berufssoldat wurde. Der 1981 mit einer Frau verlobt war, die aussieht wie Judith Krieger. Ein Perfektionist, der ein Fotosuchspiel mit der Polizei spielt, das er an Judith Krieger adressiert, vielleicht, weil sie ihn an seine Verlobte erinnert. Eine tickende Zeitbombe, um es ganz klar zu sagen. Doch nichts von all dem ist das, was in ihm nagt.
Er denkt an Böhm und an Sievert. Dass es immer noch möglich ist, dass Böhm sie verarscht und die Rudi-Nummer nur erfunden hat. Doch Böhms Alibi für den Mord an Jonas Vollenweider erhärtet sich. Zur Aussage seiner Frau und dem Tankbeleg aus Limburg kam ein Telefonat mit einem Kollegen in den USA, das Böhm nachweislich etwa eine Stunde vor der errechneten Tatzeit von seinem Festnetztelefon in Darmstadt aus führte. Böhm ist also raus, man schafft es nicht in einer Stunde von Darmstadt nach Köln. Sievert ist ein anderes Thema, da sind noch eine ganze Reihe Fragen offen. Manni versucht sich das Szenario vorzustellen: Sievert mit seiner heimlichen Sucherei im Steiner Wald. Der Täter, der zu der Stelle fährt, an der er seine ersten Opfer verscharrt hat. Vielleicht hat er das in den letzten 20 Jahren häufiger getan, vielleicht war es auch ein spontaner Entschluss, ausgelöst durch den Mord an Jonas. Der Täter fährt also in den Steiner Wald, nachts vermutlich, um nicht gesehen zu werden, und dann latscht ihm unversehens Eric Sievert mit seinem Metalldetektor vor die Nase und spürt auch noch zielsicher das Grab der Vollenweiders auf. Das kann der Täter natürlich nicht dulden, also schießt er auf Eric, um ihn zu vertreiben, was ja auch gelingt.
Manni glaubt förmlich zu fühlen, wie die Synapsen in seinem
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