Nichts für Anfänger - Roman
Fiona macht hinter ihrem Rücken Rollaugen und schüttelt den Kopf, also fahren wir lieber von Kilburn aus.
Auf der Fahrt in die Stadt ist es ganz ruhig, obwohl wir gerade mitten in der Dienstagmorgen-Rushhour sitzen. Ich und Saidhbh sind zum ersten Mal im Leben in einer Londoner U-Bahn, und wir können nicht so recht glauben, dass man so viele Leute in so einen kleinen Raum bekommen kann und sie dabei so wenig Lärm machen. Nur ein paar trockene Huster, gefolgt vom Raschel-Raschel der Zeitungen, tönen in das metallene Ächzen der Zuggleise hinein. Sonst nichts. Wenn man die Augen fest zumachen würde, würde man glauben, man sitzt in einem sehr heißen, sehr leeren Abteil anstatt in einem, das von vorne bis hinten mit Körpern und Anzügen und Röcken und Jeanshosen und Jacken und Taschen vollgestopft ist. Ich vermute, das liegt daran, dass alle müde sind und es das Erste ist, was sie morgens tun müssen, aber das Letzte, worauf sie Lust haben, nämlich sich für einen langen, verschwitzten Arbeitstag mitten in der Metropole London bereit zu machen. Aber Fiona sagt später, dass es daran liegt, dass sie alle Engländer sind, und Engländer reden nicht mit Leuten, die sie nicht kennen. Und selbst wenn sie dich kennen, sagt sie, müsstest du dir ein Bein ausreißen, um ein paar Worte gediegenen Small Talk aus ihnen herauszubekommen, es sei denn, du hockst mit ihnen an einem riesigen Bankettstisch oder bei einem piekfeinen Dinner, Schulter an Schulter mit Lord Woo-Haaa Ponkington Smythe, und er redet nur mit dir, weil es total peinlich und gegen die Regeln wäre, es nicht zu tun, und Engländer halten sich immer an die Regeln.
Die Abtreibungsmenschen sind total anders und superfreundlich. Und sie haben sogar eine spezielle Frau aus Irland da, die sich um all die Mädchen aus der alten Heimat kümmert, die in anderen Umständen hier rüberkommen. Und sie heißt Noreen und hat ratzekurze Haare, so wie Fiona, und ist vermutlich der freundlichste Mensch, dem man in einer Abtreibungsklinik über den Weg laufen kann. Die anderen sind auch nett, aber hauptsächlich starren sie runter auf ihre Formulare und stellen richtig peinliche Fragen darüber, wie viele Sexualpartner du gehabt hast, und wann hattest du zum ersten Mal Sex, und ist das der Vater? Die Frau, die das fragt, hat blonde Haare und perfektes Top-of-the-Pops- Make-up, total trendy, aber als ich auf die Frage mit Ja antworte, guckt sie irgendwie mit einem verspannten Lächeln von ihrem Klemmbrett zu mir runter, das wohl heißen soll: Mit dir habe ich nicht geredet, Babymacher!
Noreen fragt hauptsächlich Sachen über zu Hause, wer Be scheid weiß, und wer uns geholfen hat, und ob wir Tickets und genug Geld haben, um zurück über die Irische See zu fahren. Sie gibt Saidhbh ein Glas Wasser, als ihre Lippen beim Anblick eines Comics auf einer Broschüre zu zittern anfangen, auf der ein y-förmiger Abtreibungsstuhl skizziert ist, mit den Fußstützen hoch in der Luft, vor dem ein Comicarzt gefährlich nah vor der Comicmuschi einer Comicfrau kniet. Und dann sagt sie Saidhbh, dass sie ab jetzt ein glückliches Mädchen sein wird, und führt sie an der Hand ins Abtreibungszimmer. Zu diesem Zeitpunkt sagen ich und Saidhbh nichts mehr zueinander. Wir sehen einander noch nicht einmal mehr an. Ich wollte sagen, viel Glück dabei und so, aber das fühlt sich irgendwie bescheuert an. Und Saidhbh scheint sich bereits in einem verrückten tranceähnlichen Zustand zu befinden, sodass alles, was darüber hinausgeht, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich schließlich in einer halb sitzenden Position auf diesem furchterregenden, menschengemachten Fußhalterungsstuhl niederzualssen, völlig außer Frage steht. Sie verschwindet hinter den Abtreibungstüren, obwohl noch kein Arzt mit seinen Geräten weit und breit zu sehen ist, weder als Comic noch in echt.
Ich warte draußen im Verhörzimmer – als einziger Kerl, umgeben von vier nervös aussehenden Frauen – und lese meine Peig- Notizen, um hoffentlich mit diesem superfrühen Büffeln im nächsten Jahr schulmäßig wieder ein Bein auf den Boden zu bekommen, als Saidhbh früher als erwartet rauskommt, quasi zehn Minuten, nachdem sie reingegangen ist, und in der Hand hält sie den halb zerknüllten Papierkram, und auf ihrem Gesicht liegt ein merkwürdiges Starren, und Noreen hält sie am Arm fest. Noreen sagt nichts, sondern schüttelt nur mit geschlossenen Augen den Kopf, als wollte sie sagen, dass es traurig ist, dass
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