Nichts für Anfänger - Roman
werden für gewöhnlich in einen Halbkreis um ihn herumgerückt, und er könnte einfach die ganze Nacht lang weitererzählen, bis es ganz spät ist, bis zum nächsten Morgen, lustige Geschichten und Sprüche und Redewendungen, die er in seinen Jahren als einer von Londons Topkellnern gesammelt hat. Er erzählt mir von den Anfängen in Soho und den Prügeleien unten in der Greek Street und die fiesen Sexsachen, die man hinter jeder Ecke ge sehen hat. Eine seiner Geschichten ist die von dem Mädchen, das die Straße runterrennt und keine Hose anhat. Und dann kommt er an die Stelle, wo er ihre Muschi beschreiben muss, und er macht die ganze Zeit lustige Faxen, als müsste er gleich kotzen und als wäre der Gedanke an eine Muschi genug für ihn, um in Ohnmacht zu fallen. Wir alle brechen dabei in Gelächter aus, ich und die anderen Aushilfen und die ganzen Schwulen, weil wir wissen, dass es ziemlich lustig ist, wenn einem von einer Muschi schlecht wird.
Am Anfang erlaubt mir Tante Grace nicht, zum Mitarbeiterbier zu bleiben. Zum einen natürlich, weil ich zu jung bin, und zum anderen, sagt sie noch, der Überstundentratsch sei für mich unpassend. Wobei sich diesmal Fiona einmischt und Tante Grace erinnert, nach all dem, was mir passiert ist, ich mein, komm schon, ist das dein Ernst?! Aber hauptsächlich hat sie was dagegen, um ein Uhr morgens den Chauffeur zu spielen und im kalten Auto in zwei dicke Morgenmäntel gewickelt bis Oxford Circus zu gondeln, mit Wollsocken und Pantoffeln, verschlafenen Augen und traumbenebeltem Kopf. Als Billy davon hört, verliert er vor Trevor die Beherrschung und besteht darauf, dass ich jeden Abend, an dem ich arbeite, ein Mitarbeitertaxi nach Hause nehmen darf, genau wie die Mädchen. Was keine große Sache ist, weil die englische Regierung sagt, dass ich nur zwei Schichten pro Woche arbeiten darf, Freitag- und Samstagabend, weil ich erst gelogene sechzehn Jahre alt bin.
An den restlichen Wochentagen habe ich vor, leibgardenmäßig direkt vor Saidhbhs Schlafzimmertür Stellung zu beziehen, aber Tante Grace will nichts davon hören. Schon allein, sagt sie, weil unten in Der Firma Kisten herumgehoben, Regale eingeräumt und Akten nummeriert werden müssen. Ich fange an, ihr zu erklären, dass Saidhbh meine Hilfe braucht und meine Aufmerksamkeit, aber Tante Grace winkt nur ab und sagt, die größte Hilfe für das arme Ding ist, mit gutem Beispiel voranzugehen und ihr zu zeigen, dass ich kein Stubenhocker bin wie sie, sondern rausgehe und in Der Firma aushelfe. Das kommt mir irgendwie vor wie etwas, was Erwachsene sagen, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollen, so nach dem Motto: Ich stopp die Zeit, die du brauchst, um mir unten am Laden an der Ecke eine Schachtel Kippen zu kaufen, oder: Ich wette, du kannst die Spülmaschine nicht so schnell ausräumen, bis die Werbepause bei Dempsey and Makepeace zu Ende ist. Aber ich mache trotzdem mit. Weil ich keinen besseren Plan habe. Und weil ich weiß, dass mir im Endeffekt der Gedanke daran, allein mit Saidhbh zu Hause zu sein, auf meinem braunen Sitzsack, und sie schließlich wieder genug Mut hat, sich mit einer neuen Scherbe zu erstechen – diesmal mit Erfolg –, eine scheiß Angst einjagt.
Tante Grace sagt immer Die Firma, aber der offizielle Name ist Grace’s Angels. Der steht auf dem rostigen Klingelschild aus Metall an der Tür, die zur Firma an sich raufführt, die eigentlich aus zwei riesigen Räumen über der Apotheke in Ladbrooke Grove besteht, aus denen man einen einzigen gemacht hat, direkt gegenüber von der U-Bahn-Station.
An den meisten Vormittagen latsche ich dort nach zehn Uhr hin, lange nachdem alle anderen angefangen haben und ich meine Frosties gegessen und die Möglichkeit gehabt habe, meinen Kopf in Saidhbhs Schlafzimmer zu stecken und etwas, irgendetwas, aus ihr rauszubekommen. Normalerweise vollführe ich so eine kleine Sing-und-Tanz-Nummer, die Mam immer gemacht hat, als ich noch ganz klein war, die geht so: Guten Morgen! Guten Morgen! Die ganze Nacht schläfst du bei mir! Guten Morgen! Guten Morgen! Das wünsch ich dir! Dir! Und dir! Nur man singt es eben und wackelt von links nach rechts und bewegt beide offenen Handflächen vor sich im Kreis, als würde man mit zwei Lappen ein Fenster direkt vor der eigenen Nase putzen.
Früher in The Rise ist Mam ganz frühmorgens von Zimmer zu Zimmer gegangen und hat das Ganze dort geduldig immer wieder von vorne aufgeführt, und jedes Mal hat sie völlig andere Reaktionen
Weitere Kostenlose Bücher