Nichts für Anfänger - Roman
Mal hebt er einfach den Blick von dem Buch und lässt ihn langsam zu mir herüberwandern. Doch statt wütend auszusehen, zieht sich tiefe Traurigkeit durch sein Gesicht. Mit dem Buch in der Hand steht er auf und verlässt mit gesenktem Kopf den Tisch. Wie ein gebro chener Mann. Wir alle, ich und die Mädchen und Mam, werfen uns stille Blicke zu, als wollten wir einander bestätigen, dass wir soeben Zeugen davon geworden sind, wie ein Mann wahrhaftig und wortwörtlich unter der Last des überlaufenden Fasses zusammengebrochen ist.
Die Mädchen entwickeln ihre Theorien darüber. Und später, viel später, wenn sie ein bisschen gemein sein wollen oder gedankenlos sind und wenn sie laut die Entwicklung von Dads Krankheit zurückverfolgen, um den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem er endgültig aufgegeben hat zu leben und angefangen hat, sich in seine Krankheit zurückzuziehen, dann landen sie immer wieder bei diesem Tag. Wie er mit der Geschichte des Auges in der Hand die Küche verlässt, mit gebrochenem Herzen, einer ihm gleichgültigen Frau, ihm fremden Töchtern und seinem Sohn, dem sexbesessenen Irren.
Der Geburtstagskaffeeklatsch endet damit, dass ich mich mit einem Stück von Fionas Kuchen und dem Zen der Physik still und leise nach oben verkrümle, während sich Mam und Dad in der Garage darüber streiten, ob ich pervers bin oder nicht. Die Mädchen haben mir Blicke zugeworfen, als wäre es mein persönlicher Masterplan gewesen, mein eigenes Geburtstagskaffeetrinken zu ruinieren. Ich habe gerade mal zwanzig Minuten auf dem Bett gelegen und »Multiversum« im Stichwortverzeichnis nachgeschlagen, als Mam in der Tür steht, ganz rotäugig, aufgequollen und heulgesichtig.
Ich sage nichts und zucke nur irgendwie mit den Achseln. Sie setzt sich neben mich, wobei sie immer noch die Tränen und den Schnodder von ihrem Streit mit Dad hochzieht. Sie hat diesen Ausdruck auf ihrem Gesicht – ein unsicheres Halblächeln –, der mir sagt, dass jetzt irgendwas mit Pimmeln kommt. Genau so hat sie mich vor unserem unvollendeten »Baby-Gespräch« auf dem Rückweg von Kilcuman angesehen.
Doch dieses Mal spuckt sie’s direkt aus und fragt mich, wer mir von diesem Buch erzählt hat. Ich mache mir fast in die Hose. Noch nicht bereit hierfür. Nein, Sir. Ich sage, dass ich einfach davon gehört habe, du weißt schon. Aber von wem?, fragt sie. Ich sage noch einmal, ich habe einfach davon gehört, aber sie lässt nicht locker. Wie ein Rottweiler. Aber von wem?, ist ihr Mantra. Ich entscheide mich dafür, irgendwen aus der Schule zu nehmen, aber ich muss vorsichtig sein. Es muss glaubwürdig sein, jemand, der gerade durchgeknallt genug ist, Sexfantasien zu lesen. Mam sagt, dass sie genau weiß, dass ich jemanden decken will, aber sie will die Wahrheit hören. Bei diesen Worten klingelt es an der Tür, und ich hoffe, dass ich nur lange genug still dasitzen kann, bevor Mam runtergehen muss, um sich um den Besucher zu kümmern. Doch so läuft das mit ihr nicht. Sie erzählt mir noch ein bisschen mehr von der Wahrheit und sagt, dass alle Familien heilig sind und dass unsere Körper heilig sind und dass sie so Schmuddelkram nicht in ihrem Haus haben will. Und jetzt sag mir, woher kanntest du das?
Natürlich hätte ich einen kühlen Kopf bewahren und einen von den Jungs von den Tagen religiöser Orientierung nennen sollen. Sagen wir mal, Daryl McDonagh. Das hätte Sinn erge ben. Zwischen zwei Mundvoll verbrannten Kartoffelschalen vor einem Ganzkörperspiegel hätte sein Dad ihn dazu gezwungen , Die Geschichte des Auges zu lesen, um zu sehen, ob er sein Essen bei sich behalten kann, während er alles über Sex mit abgeschnittenen Eiern liest. Doch am Ende klingt Mams Stimme relativ streng und irgendwie auch wütend, sodass ich Panik bekomme und einfach den erstbesten Namen sage, der mir einfällt. Gary!
Darauf Mam so: Gary?!!!! So, als wollte sie sagen: Hast du jetzt einfach völlig den Verstand verloren? Der kleine Gary mit dem Elektrospielzeug?!! Aber ja, ich sage es noch einmal, Gary! Das kommt alles von Gary. Bei diesem miesen Trick denke ich an O’Culigeen, aber ich setze ihm Garys Kopf auf, wodurch ich mir das Ganze leichter an den Haaren herbeiziehen kann. Mam will jedoch mehr Einzelheiten hören. Sie will wissen, wo Gary das Buch herhat. Sie sagt, dass sie Maura Connell kennt wie ihre eigene Schwester, wie sich selbst, und sie weiß einfach, dass sie diesen Schmuddelkram nicht unter ihrem Dach dulden würde. Das wird hier gerade
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