Nichts für Anfänger - Roman
Hauch von O’Culigeens Entertainerqualitäten. Fast verdreht O’Culigeen die Augen, als er meine Darbietung hört, aber dann macht er einfach als lässiger Jesus weiter und beschreibt, wie der Vater seinen Besitz aufteilt und dem Sohn sein Erbe auszahlt. Für gewöhnlich lockert O’Culigeen den eigentlichen Text mit kleinen Anekdoten und Fußnoten auf, mit allem, was seiner Meinung nach das »Erlebnis der Evangelien« eventuell bereichern könnte. Und schon startet er einen ellenlangen Vortrag darüber, dass das Erbe ja ein Olivenhain gewesen ist und Olivenbäume volle vierzehn Jahre brauchen, bis sie Früchte tragen, und wie wertvoll sie sind und dass ein einzelner Olivenbaum bis zu fünfundsiebzig Liter Olivenöl liefern kann. Allerdings scheint sich niemand in der Gemeinde großartig für Olivenöl zu interessieren. Schon gar nicht für fünfundsiebzig Liter von dem Zeug. Es handelt sich hier um eine Gemeinde, der außer Butter nichts ins Haus kommt und die sich »diese ausländische Brühe« höchstens auf die trockene Kopfhaut schmiert oder sie beim Sonnenbaden benutzt, damit die Haut mehr glänzt. Sarah zum Beispiel hat ihre eigene kleine Miniflasche Olivenöl, die sie einpackt, wenn wir es mal zum Silver Strand unten in Wicklow schaffen oder nach Barley Cove in West Cork. An solchen Tagen, an denen die Sonne auf uns runterknallt und wir alle schwitzen wie die Schweine, bevor wir kurz ins eiskalte Wasser springen, liegt Sarah einfach da, still wie eine Leiche, und ein frischer Olivenölfilm tropft von ihr runter, damit sich auch ja jeder einzelne Sonnenstrahl, der vom Himmel auf uns niederbrennt, auf ihrer unberührten, zarten irischen Haut bricht und dabei jede einzelne Zelle verstrahlt und sie in ein Verbrennungsopfer dritten Grades verwandelt, und erst nachdem die poröse, pustelige tote Haut in Fetzen auf den Boden gesegelt ist, sieht sie darunter ein kleines bisschen brauner aus.
Die Olivenölrede ist insofern nicht gerade eine seiner Sternstunden, und sie ist noch nicht annähernd so geisteskrank wie das, was als Nächstes kommt. Er sieht runter auf seinen Text, und es scheint so, als würde er erst jetzt merken, was als Nächstes dran ist. Seine Stimmung kippt von einer Sekunde auf die andere. »Und nicht lange danach sammelte der jüngste Sohn alles zusammen und zog aus in ein fernes Land; und daselbst brachte er sein Gut um mit Prassen«, sagt er in einer Art todernstem Knurren. Immer noch ruhig und tief und Jesus-von-Nazareth-mäßig, aber auch ein bisschen wütend. Dann schaltet er um in Fußnotenmodus und lässt einen bösen Blick über die Gemeinde schweifen, wobei er schweigend nickt, bevor sein Blick auf mir landet und er sagt, Wissen wir, was Jesus mit Prassen meint? Er lässt niemanden Antworten und starrt mich weiter an und sagt dabei immer wieder »Prassen«.
Er meint … – O’Culigeen macht eine Pause und durchforstet das Publikum nach Jugendlichen. Und du weißt einfach genau, dass er Dinge wie »ficken« und »poppen« und »Ärsche vergewaltigen« sagen will, doch stattdessen sagt er megalaut: ZECHGELAGE!!!
Mit irrem Blick und vor Wut zitternden Lippen sieht er zu mir rüber, sagt noch einmal »Zechgelage« und trägt den Rest des Verses direkt neben meinem Rednerpult vor, ohne mich aus den Augen zu lassen und ohne auch nur einen Blick aufs Blatt werfen zu müssen. Alles auswendig. Schließlich kommt er zu der Stelle, an der der jüngere Sohn nach Jahren Hungern und Schweinefutterfressen seine Fehler einsieht, also bin ich wieder dran: »Wie viel Tagelöhner hat mein Vater, die Brot in Fülle haben, und ich verderbe im Hunger!«, sage ich, diesmal etwas selbstsicherer als beim letzten Mal, irgendwie gewöhne ich mich an die Rolle und füge dem Ganzen sogar einen Schuss Verzweiflung hinzu wie die Billy-Barry-Kids, die in der Late Late Show singen und nach irgendwelchen Choreografien tanzen. »Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen …«
O’Culigeen gebietet mir mit einer Handbewegung mitten im Satz zu schweigen und macht eine energetische Drehung in Richtung Gemeinde für eine erhellende Fußnotenzugabe. Diesmal fordert er das Publikum mit einem bösartigen Glitzern in den Augen auf, aufmerksam darüber nachzudenken, was den verlorenen Sohn antreibt. Nicht seine Schuldgefühle, sagt er. Nicht sein Mitgefühl für den Vater. Nicht einmal die Einsicht, dass er in Ungnade gefallen ist. Nein!, sagt er und fängt mich wieder mit seinem Seitenblick ein, der jüngere Sohn
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