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Nichts für Anfänger - Roman

Nichts für Anfänger - Roman

Titel: Nichts für Anfänger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kevin Maher
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an und wirft mir einen Blick zu, der unmissverständlich fragt: Was. Zum. Teufel?!

10
    Tante Grace
    T ante Grace weiß alles über alles. Sie ist Mams jüngere Schwester und lebt schon, seit sie ein Teenager ist, in London. Sie kennt sich mit dem ganzen modernen Kram aus, über den die Engländer Bescheid wissen und den die Iren noch lernen müssen. Deshalb ist es immer total aufregend, wenn sie uns besuchen kommt, und es besteht die Möglichkeit, dass sie einfach während des Abendessens anfängt, über Sex und Scheidung und Homos zu reden. Nicht dass sie selber ein Homo wäre. Sie war verheiratet und alles, aber ihr Ehemann, mein Onkel, hatte zu viele Affären, also hat sie ihn verlassen, und jetzt lebt sie allein in einem großen Haus in der Nähe vom Queen’s Garden und ist, wie sie sagt, nur mit ihrer Arbeit verheiratet.
    Dass Tante Grace nach London gegangen ist, war eine große Sache. Mam sagt, dass die ganze Familie wochenlang geweint und geschluchzt hat, als wäre Tante Grace für immer mit einem Schiff voller Särge davongesegelt, statt einfach mit einer Fähre nach Holyhead. Mam sagt allerdings, dass damals alles anders war und es den Iren in England früher schlechter ging als den Negern oder den Pakis oder den Juden.
    Tante Grace sagt, dass es im Moment noch schlimmer ist als damals, wegen den ganzen Bomben und der IRA . Und dass sie jedes Mal, wenn im Hyde Park irgendein Pferd in die Luft gejagt wird, wochenlang Todesdrohungen bekommt und zu jeder Tages- und Nachtzeit angerufen wird und jemand ins Telefon keucht und sagt, sie soll ihre Sachen packen und aus dem guten alten Land der Queen verschwinden. »Verpiss dich, du irische Schlampe!« ist der Klassiker, sagt sie. Und dass es schwer ist, wenn man allein ist, und es ist mitten in der Nacht, und jedes Knarzen im Haus könnte einer vom Lynchmob sein, der sich die Treppe raufschleicht, um dich zu teeren und zu federn und dich aus dem Fenster zu schmeißen. Als ihr Ehemann Nigel noch da war, war es anders. Ihm haben sie nie gedroht, weil sie dachten, er wäre eh Engländer. Mam sagt, dass ihre gesamte Familie dachte, Nigel wäre Engländer, als er damals kam, um Tante Grace den Hof zu machen.
    Sie war erst siebzehn, und er war schon Ende zwanzig und hatte einen Spitzenjob im öffentlichen Dienst. Bei Mams Eltern war es Liebe auf den ersten Blick, und sie gaben ihm praktisch einen Freischein dafür, mit Tante Grace zu machen, was er wollte und wann er wollte. Er hatte einen gezwirbelten Schnurrbart und trug sein Haar zur Seite gegelt, und Mam sagt, dass ihr Dad, mein Opa, ihn hinter seinem Rücken immer »König George« nannte. Erst später, nachdem er und Tante Grace nach London gegangen waren, fanden sie heraus, dass er gar kein Engländer war, sondern aus Carlow stammte, sich aber für einen englischen Schwerenöter hielt, seit seine Mutter ihm als Kind erzählt hatte, dass sein Vater gar nicht sein Vater war und sein richtiger Vater ein englischer Matrose, der einen einzigen Abend oben am Liffey Freigang gehabt hatte.
    Also wurde Nigel einfach sein eigener Dandy, und auf eine Art wurde er auch zu seinem eigenen Vater, zu einem Schürzenjäger, und um das alles noch zu toppen, legte er sich einen edlen englischen Akzent zu. Mam hat Fiona erzählt, dass Nigel eigentlich gar nicht nach London gehen wollte, doch als er Tante Grace schwängerte, hatte er keine Wahl mehr. Also machten sich die beiden vom Dun-Laoghaire-Hafen aus unter großem Heulen und Schluchzen auf den Weg, und nur Mam, Grace und Nigel hielten den wahren Grund für ihre Abreise fest an die eigene Brust gedrückt. Nigel hatte so entschieden. Er war zu jung, um Vater zu werden, sagte er. Zu jung für einen Klotz am Bein. Doch er würde das Richtige tun und alle Kosten übernehmen und sein Glück im Vereinigten Königreich versuchen. Mam hat Fiona erzählt, dass es ein richtig krasser Abschied war, dass alle König George höchstselbst umarmten und küssten und ihm sagten, er wäre ein richtiger Mann, weil er Tante Grace auf so ein gewichtiges Lebensabenteuer mitnahm, und alle Tante Grace sagten, sie solle auf sich und ihren Mann aufpassen, und während alledem hatte Tante Grace nur Mam angestarrt und mit ihr das stille und schwere Geheimnis geteilt, dass sie das Wasser überquerte, um ein Baby zu töten, nicht mehr und nicht weniger.
    Fiona sagt, dass die Abtreibung ziemlicher Pfusch war und dass Tante Grace beinahe dabei gestorben wäre und ihre Gebärmutter verloren hat und so.

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