Nichts für Anfänger - Roman
nur aufmischen, sondern ihn direkt komplett verwüsten.
Aber nicht mit ihr. Sie packt mich noch fester bei der Schulter und zerrt mich um die Ecke zur Tür der Sakristei und sagt mir, dass wir schon sehen werden, wer hier am Ende am schlimmsten dran sein wird.
Ihre Fingerspitzen haben kaum den Messingklopfer erreicht, da steht O’Culigeen schon höchstpersönlich da, ohne seine Robe, zurück im Man-in-Black-Outfit und mit geisteskrankem Blick. Da bist du ja, du kleiner Schlingel!, sagt er und grabscht sich meine andere Schulter, fast ohne ein Wort an Tante Grace zu richten. Sie hält ihre Seite fest, während sich O’Culigeens Finger tief in mein Schlüsselbein graben und sich um und in meine Achselhöhle krallen. Er bombardiert Tante Grace mit einem ellenlangen Bericht darüber, was für ein Draufgänger ich bin und wie toll ich schauspielern kann und dass ich im Leben auf die Bühne gehöre und wie ich ihn, O’Culigeen, angebettelt habe, mehr performative Lesungen auf dem Altar zu machen und dass das Ganze meine Idee gewesen ist und er meine Wünsche berücksichtigt, weil ich gerade wegen meinem armen Vater ein ziemlich schlimmer Junge bin und er mir wenigstens ein bisschen Freude schenken will und ein Ventil für meinen Schmerz in diesen traurigen, schrecklichen Tagen.
Tante Grace versucht sich an ein paar Abers und Dennochs, aber sie ist diesem rattigen Priester nicht gewachsen, der nur eine ordentliche Vergewaltigungssession im Kopf hat. Denn während er redet und mich dabei erwähnt, sieht er mich immer und immer wieder so an, als wäre ich verdammt noch mal das appetitlichste Puddingtörtchen in Clerys Café, das er je gesehen hat, und seine Augen treten aus ihren Höhlen und sagen mir, dass wir, falls er Tante Grace um den Finger wickeln kann, direkt da anknüpfen, wo wir bei der Predigt so romantisch aufgehört haben. Und da kann ich mich auf was gefasst machen.
Er ist wie ein Rammbock. Ohne zwischendurch Luft zu holen, erzählt er ihr, dass es sich nicht gehört, wie ich heute Abend einfach aus der Kirche gehüpft bin, ohne auch nur mein Chorhemd aufzuhängen, und dass da hinten eine gute halbe Stunde Arbeit wartet, bevor ich mich als einen freien Mann betrachten kann, hö, hö. Er zwinkert Tante Grace zu und sagt ihr, dass er sich schon denken kann, dass zu Hause sicherlich alle dankbar für eine möglichst lange Verschnaufpause vom Nachwuchs hier sind, wenn man bedenkt, wie schlecht es meinem Dad gerade geht und alles, und dass es ihm eine große Freude wäre, mich später mit seinem Auto nach Hause zu bringen, sobald ich meine Aufgaben hier erledigt habe.
Ich fühle, wie sich Tante Grace’ Schultergriff lockert, und ich denke: Kacke! Und Scheiße! Und all die anderen Wörter, die bedeuten, dass mich heute Abend irgendetwas vollends in den Abgrund stoßen wird. O’Culigeen merkt es auch, und seine Hose hängt ihm praktisch schon in den Kniekehlen, als er mich für einen Augenblick aus ihrem Griff befreit. Für ihn läuft alles wie am Schnürchen, und Tante Grace hat quasi schon den Kampf aufgegeben, als sie O’Culigeen sagt, als könnte sie kein Wässerchen trüben: Ich bin übrigens seine Tante Grace!
Tja, dieser dicke alte hinterweltlerische Heuchler hätte eine Million Möglichkeiten gehabt, seine Karten auszuspielen. Eine Million Möglichkeiten. Die meisten davon hätten ein glorreiches Ergebnis für ihn und eine fürchterliche, vermutlich fatale Nacht der Schmerzen für mich bedeutet. Doch stattdessen sagt dieser kleinkarierte knollenfressende Laberhannes: Oh, ich weiß sehr genau, wer Sie sind! Und er sagt es auf eine Art, so ganz von hoch oben herab, dass glasklar ist, dass er auf Tante Grace’ Vergangenheit als gefallene Frau in London anspielt.
Zack! Ihre Hand gräbt sich wieder in meine Schulter wie der Dreizack vom Satan höchstpersönlich. Sie entreißt mich O’Culigeens Klauen so heftig, dass sie beinahe seine Hand mit abreißt, und er muss sogar kurz vor Schmerz aufjaulen, weil seine Fingernägel durch die fürchterliche Wucht des Ganzen plötzlich umknicken. Der Junge muss zu seinem Vater, sagt sie kalt wie ein Grab. Das war die abgebrühte Grace, die Hart-wie-Stahl-Grace, in Aktion. Dann macht sie auf dem Absatz kehrt und zerrt mich über den dunkel werdenden Samstagabend-Kirchhof hinter sich her. Der letzte Blick, den ich auf O’Culigeen werfe, zeigt ihn in völligem Unglauben, wie er wütend an seinen schmerzenden Nägeln saugt und mich unmissverständlich so ansieht,
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