Nichts für Anfänger - Roman
dass ich nicht den geringsten Zweifel daran habe, dass ich beim nächsten Mal, wenn wir ungestört aufeinandertreffen, so gut wie tot bin.
Tante Grace fährt mich in totaler Stille nach Hause und verliert kein Wort mehr über O’Culigeen. Das Wochenende verbringt sie bei uns damit, mit Mam bei Kaffee oder Wein in jeder nur möglichen stillen Ecke des Hauses zu tuscheln, über große Pläne und große Veränderungen, die geschehen müssen, und zwar schnell, damit Dad am Leben bleibt und Mam nicht verrückt wird. Ich schnappe Fetzen von ihren Gesprächen auf, und hauptsächlich geht es um Krankengeld und dass wir bald kein Geld mehr haben und Mam es sich sowohl finanziell als auch von ihren Kräften her nicht leisten kann, den Haushalt zu schmeißen und gleichzeitig die Krankenschwester für einen sterbenden Mann zu spielen. Tante Grace’ Flug nach London geht am Montagmorgen, also endet der Sonntagabend showdownmäßig mit einem Familienrat im Wohnzimmer, ein bisschen so wie die Punktevergabe beim Grand Prix.
Hier, während Dad oben in seinem Morgenmantel im Bett liegt, sitzen wir drei Jüngsten nach Bananentoast mit Krümeln vorne auf unseren Schlafanzügen am Feuer und haben uns Glenroe und Murphy’s Micro Quiz-M hintereinander angeguckt. Tante Grace, die quasi wie ein Sprachrohr für Mam den Vorsitz der Versammlung hat, sagt uns, dass es Zeit für die Familiennachrichten ist. Fiona, Sarah und Siobhan kommen mit roten Augen reingeschlurft, als hätten sie stundenlang geweint, mit Mam im Schlepptau, die tatsächlich gerade weint, und noch bevor sie ein Wort sagen können, verkündet Tante Grace, dass Sarah und Siobhan in eine eigene Wohnung ziehen, die sie mit einer großzügigen Spende von Tante Grace und ihrer Sozialhilfe bezahlen werden, die sie derzeit hauptsächlich für Kippen und Typen im Blinkers rausschmeißen – alles in allem nicht viel Kohle, und es wird vermutlich nur für eine lausige kleine Bude in Cabra reichen, aber vielleicht wird es sie ja dazu ermutigen, sich bessere Jobs zu suchen, sodass sie es sich irgendwann leisten können, südlich des Flusses zu wohnen.
Noch bevor wir diese Neuigkeiten verarbeiten können, dreht sie sich zu Fiona, spricht sie direkt an, und uns auch, und sagt, dass Fiona aus der Schule genommen wird und Montagmorgen mit ihr nach England fliegt, um mit ihr in ihrer Perso nalvermittlungsagentur zu arbeiten. Fiona antwortet mit einem dankbaren Halbnicken, traut sich jedoch nicht, uns andere anzusehen. Und das heißt, fährt Tante Grace fort, dass die Kleinen, also Claire und Susan, von nun an anfangen müssen, hauptsächlich den Haushalt zu schmeißen, mit zusätzlichen Pflichten und weniger Zeitvertreib mit ihren Freunden. Und ich?, frage ich etwas dümmlich. Tante Grace sieht rüber zu Mam, die glasige Augen hat und insgesamt von alledem etwas benommen aussieht, und dann zurück zu mir und sagt mit ernstem Blick, dass sich hier im Haus so viele Aufgaben für mich ergeben werden, Männersachen, zum Beispiel die Heizung reparieren oder den Kamin sauber machen, dass ich von diesem Abend an keine Zeit mehr haben werde, jemals wieder als Messdiener zu arbeiten. Jemals.
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Die nächsten zwei Monate
D ie nächsten zwei Monate sind die besten meines Lebens. Wirklich. Seine halbe Familie zu verlieren und sich um seinen sterbenden Vater zu kümmern ist also doch leichter, als man denken würde. Binnen einer Woche haben Sarah und Siobhan die Kaution zusammen und sind aus dem Haus, noch bevor die nächste Woche um ist. Sie teilen sich eine winzige Einzimmerwohnung in einer trostlosen dreistöckigen Bruchbude auf der Hamilton Street, direkt an der North Circular Road. Bei ihren sonntäglichen Besuchen sagen sie, dass der Umzug genau der Tritt in den Hintern war, den sie gebraucht haben, um ihre Zukunft als junge unabhängige Frauen im aufstrebenden Irland in die Hand zu nehmen. Innerhalb eines Monats hat Sarah einen Job am Schalter der Allied Irish Bank, während Siobhan in der Herrenabteilung von Dunnes Stores arbeitet.
Der Abschied von Fiona am Montagmorgen ist ziemlich übel, alle stehen schluchzend an der Haustür, während der Taxifahrer seine John Player Tip Tops pafft und wir einen Eindruck vom richtigen Irland von vor hundert Jahren bekommen, in dem man auf die Welt kam, um sein Zuhause zu verlassen, bevor man alt genug dafür war. Von mir verabschiedet sie sich von allen Geschwistern am dollsten und quetscht mich fast zu Tode und sagt mir, ich soll immer unter meinem
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