Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
Schreiner im Austausch gegen einen Kasten Bier gern weiter. An der Supermarktkasse wird der Kunde mit Namen angesprochen und darf den Laden nicht ohne einen Plausch verlassen. Lärm ist ein Fremdwort, Hektik ebenso, Luftverschmutzung eh. Klingt das nicht paradiesisch?
Was bietet die Stadt dagegen? Marodierende Lümmel in Jogginghosen, alberne Fahrräder und Sch-Mädchen. Sch-Mädchen nenne ich die Sorte von Heranwachsenden, die – ob Deutsche oder Migrantin – keinen ch-Laut mehr zu artikulieren in der Lage sind. Wenn zum Beispiel ein Sch-Mädchen das andere bittet, die Telefonnummer einer neuen Flamme rauszurücken, und insistiert, antwortet das andere Sch-Mädchen: »Schabdienummerehrlischnisch.«
Die sind oft so um die vierzehn oder fünfzehn, die Sch-Mädchen. Ich sehe schwarz, dass sich die Aussprache bis zur Volljährigkeit grundlegend ändert. Jungs sprechen genauso, sie tragen dabei allerdings bevorzugt Jogginghosen. In denen müssen sie sehr breitbeinig laufen, weniger wegen der Hose als vielmehr um zu signalisieren, dass sie über unendlich viel Samen verfügen, der einen weniger ausufernden Gang leider unmöglich macht. Unterstützt wird der oft noch leicht federnde Gang durch Turnschuhe, bevorzugt von Nike. Leicht abrollende Modelle mit luftgefederter Sohle scheinen das Optimum zu sein. In den Ohren befinden sich neben Kopfhörern, auf denen billiger Rap läuft, meist Brillantstecker. Das Haar wird seitlich extrem kurz getragen, das Deckhaar auf der Kopfoberseite minimal länger. Auf der Birne ruht eine Mütze, deren Aufdruck sich trendabhängig ändert, Von Dutch und Ed Hardy sind schon durch. Zumindest in Köln und Frankfurt liebt der Joggerlümmel Rudelbildung in Einkaufsstraßen, freilich ohne je tatsächlich etwas zu kaufen.
Die neueste Geißel großstädtischen Lebens sind alberne Fahrräder. Mit übergroßen, weißen Reifen, schrillen Farben, viel Chrom und einer Sitzposition wie nach drei Wochen Durchfall. Ich glaube, die Dinger nennen sich Cruiser. Die Wahrscheinlichkeit, darauf beknackt auszusehen, liegt bei 100 Prozent. Abgesehen davon sind diese Teile weder wendig noch leicht. Die meisten Besitzer tragen schwarze, dicke Brillen, Koteletten, eine diagonal umgehängte Tasche der Marke Freitag und das Gefühl in sich, mit ihrem Cruiser mal ganz was Besonderes zu sein.
So wie die Joggerlümmel es für sehr außergewöhnlich halten, sich den Namen irgendeiner Perle auf die Innenseite des Unterarms stechen zu lassen. Unterschicht und Unterarmtattoo korrelieren. Noch nie scheint einer von denen folgenden Gedankengang gehabt zu haben: »Hhhm, Kevin, Murat und Maik haben alle keinen Job, dafür einen Kampfhund, ein Vorstrafenregister, eine Privatinsolvenz und ein Unterarmtattoo. Möchte ich mit ihnen möglichst viel Gemeinsamkeiten haben?« Natürlich nicht – trotzdem wird weiterhin fröhlich Kathleen, Selina oder Jadranka in geschwungenen Buchstaben in Joggerlümmelunterarme gestochen.
Auch klimatisch sind Großstädte klar im Nachteil. An heißen Sommertagen weicht die Hitze nicht aus den Straßenschluchten, während auf dem Land stets ein kühler Wind durch die Weizenähren zieht. Das grausigste Klima Deutschlands trifft man zwischen Bonn und Duisburg an. Ich nenne diesen Landstrich gern die Heimat der Schwüle. Schon im März können die ersten Tage drückend sein – und bis November ändert sich daran nicht viel. Sommers wie winters besteht die Gefahr von Dunstglocken. Schnee fällt so gut wie nie. Trotzdem verpacken sich die Kölner an einem Wintertag mit +9 Grad Celsius so dick, als gelte es, Wladiwostok zu Fuß zu durchqueren. Es kommen Muffs zum Einsatz und diese wildledernen, fellgefütterten Boots, die vorne ganz rund sind und an jeder Stelle ganz klobig.
Da Frauen bekanntlich ab weniger als zwanzig Grad kalte Füße haben, kann ich es bei ihnen noch verstehen. Leider, leider sieht man aber auch zunehmend Männer mit dieser Abwandlung eines inuitischen Mukluks durch die Szeneviertel der rheinländischen Metropolen stapfen. Die Stadt, in der ich für diese Schuhmode das meiste Verständnis aufzubringen bereit wäre, ist übrigens Hof in Oberfranken. Die meteorologische Statistik beweist nämlich, dass es sich bei Hof um die kälteste Stadt mit über 20000 Einwohnern in Deutschland handelt. Was Stadtbild und Klima angeht, müsste man in Hof ein Geschäft eröffnen, das ausschließlich Mukluks und Antidepressiva verkauft.
Ein weiteres Indiz für offensichtlich verstärkte
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