Nichts kann ich mir am besten merken (German Edition)
das Mittel der Wahl, wenn es darum geht, Damen und Herren zu separieren. Das Schild möge Klarheit bringen – und zwar auch noch nach dem vierten Glas Wein. Kunst kann sich der Herr Wirt gerne auf seine Fensterbank zu Hause stellen.
Oft korreliert der Name eines Lokals mit dem darin zu erwartenden Chichi-Faktor. Im »Adler«, »Grünen Baum« oder »Goldenen Löwen« kann man sich meist darauf verlassen, nicht weniger als 400 Gramm Fleisch auf dem Teller zu haben und nicht mehr als zehn Euro dafür zu bezahlen. Große Vorsicht ist in Läden geboten, die zum Beispiel »Die Zeit der Wolken«, »Café Feynsinnig« oder »shabbychique« heißen. Hier irrlichtern verträumte Mädchen mit Audrey-Tautou-Frisuren im Service herum, sind zu cool, um freundlich zu sein, und balancieren riesige Teller mit mikroskopischen Portionen auf ihren anorektischen Ärmchen herbei. Wein wird in 0,1-Liter-Schlückchen ausgeschenkt und beim Verdauungsschnaps der Eichstrich eingehalten. Gäste werden ungefragt geduzt. Besonders viele dieser Exemplare an Lokalität gibt es in Werbe-und Medienstädten wie Köln, Frankfurt oder Berlin.
By the way: Ist Ihnen eigentlich schon mal aufgefallen, was fast alle deutschen Großstädte gemeinsam haben? Im jeweiligen Süden wohnt es sich am teuersten! Die feine Münchner Bussibussi-G’sellschaft logiert mit Blick auf die Alpen isaraufwärts, während die armen Schlucker vom Hasenbergl aus dem sechzehnten Stock alternativ Blicke auf das Dachauer oder Erdinger Moos haben – eins so langweilig wie das andere. Der was auf sich haltende Stuttgarter bewohnt die Bergkette südlich der Innenstadt und genießt eine kühle Brise, während sich der Pöbel im Kessel sein abgewetztes T-Shirt vollschwitzt und vor lauter Abgasen um seinen Kehlkopf bangt. In Frankfurt thront die Crème de la Crème auf dem Sachsenhäuser Lerchesberg – nach Eröffnung des jüngsten Landebahn-Zuwachses zwar nicht mehr leise, aber dennoch privilegiert – und beobachtet mit Fernrohren die Arbeiter im Tal. In Berlin weiß der Zehlendorfer vor lauter Seen gar nicht, an welchem Ufer er sich nun eine Villa kaufen soll, während der Malocher im Wedding alle drei Minuten den Ton von RTLII wegen eines landenden Flugzeugs lauter machen muss.
Selbst in Städten wie Köln, Dortmund, Duisburg und Essen, denen man Schönheit kaum zutraut, ist der Süden jeweils etwas weniger scheußlich als der Norden. Einzige Ausnahme unter den bedeutenden Städten ist Hamburg. Hier ist der Süden größtenteils unfein, industriell geprägt und bevorzugtes Opfer von Elbfluten. Meine Theorie, weswegen das so ist, lautet folgendermaßen: In allen Städten außer Hamburg bevorzugt das zahlungspotente Publikum eine südliche Wohnlage, weil es dann schneller in seinem Chalet in den Alpen oder auf der Yacht an der Côte d’Azur ist. Hamburger Snobs dagegen interessiert allein der Weg nach Sylt, weswegen eine Wohnlage südlich des Elbtunnels undenkbar ist.
Hamburger gehören ja auch zu der Sorte von Großstädtern, die ihr Umland (bis auf Sylt) nicht genießen, sondern negieren. Allein schon einen Ort aus dem Kreis Herzogtum Lauenburg nur zu kennen, führt zu gerümpften Nasen. Dorthin zu fahren ist nahezu undenkbar. Wenn es doch mal sein muss, weil irgendein Hirnverbrannter dort heiratet oder eine Erbtante gestorben ist, kann der Hansestädter gar nicht oft genug betonen, wie zuwider ihm das alles gerade ist.
Der Berliner ist seltsamerweise ähnlich. Trotz jahrzehntelangem Eingesperrtsein ist der Drang, Brandenburg kennenzulernen, nicht sonderlich groß. Münchner und Frankfurter scharren dagegen Freitagmittag schon mit dem Huf, weil sie es gar nicht erwarten können, in den Taunus oder die ungleich attraktiveren Alpen zu zischen.
Ich bin grundsätzlich gerne auf dem Lande. Im Rahmen einer Abwägung der Vor-und Nachteile bin ich für mich zu dem Ergebnis gekommen, dass die Vorteile überwiegen: Frisches Brot duftet aus dem Backhaus, junge Mädchen spielen mit Blumenkränzen im Haar Gummitwist auf dem Dorfplatz, die Supermärkte im Fachmarktzentrum am Ortsrand haben mittlerweile bis 22 Uhr geöffnet, ausgefallene Großstadtkleidung kann per Internet geordert werden. Da ich mir aus Film, Theater und Oper nicht viel mache, vermisse ich auch dieses kulturelle Angebot nicht. Hauptsache, im Fernsehen hat’s ZDF. Schnell findet man Anschluss in Vereinen, Parteien oder der freiwilligen Feuerwehr. Im Falle eines komplizierten Kommodenaufbaus hilft der örtliche
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