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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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deren kleiner Bildschirm in seiner Tiefe »Befehle« zeigte, irgendwelche unbegreiflichen Kürzel. Monique starrte in dieses kleine Aquarium der Zeichen, als sie sich zu Marleen wandte, die neben ihr stand; zwar erkannte sie Marleen, schien aber für einen Moment vergessen zu haben, wer sie selbst war.
    »Hm, hm, … du weißt ja, ich bin an der Tempi Novi dran. Es geht um einen noch fetteren Schnitt.«
    »75.«
    »Nein, fetter.«
    »85.«
    »Ja, so wird er wohl heißen.«
    »Okay-i.«
    »Meinst du, dass man den Schnitt auch errechnen kann? Rein mathematisch, meine ich.«
    »Ganz im Prinzip schon. Eine elektronische Matrix kann eigentlich alles. Allerdings sage ich dir jetzt schon: Es wird Passeraub nicht gefallen.«
    »Dass wir das programmieren.«
    »Nein, das ist dem egal. Ich meine die Belichtung, die dabei herauskommt.«
    »Das kann sein. Aber du sollst die auch nicht ihm geben, sondern mir.«
    »Okay-i. Am besten ist, du nennst mir eine Buchstabenfolge, die dir etwas bringt. Meistens arbeiten wir mit ›Rafenduks‹.«
    »R-a-f-o-?«
    »Nein, R-a-f-e-n-d-u-k-s.«
    »Es wäre gut, wenn ein großes H und ein kleines o dabei wären.«
    »Kein Problem. Ich finde etwas. Aber ganz auf die Schnelle geht das nicht.«
    Marleen beschloss, nicht auf Monique zu warten. Sie zeichnete »Hono« neu und klopfte kurz vor Mittag an Passeraubs Tür. Er beugte sich über ihre Buchstaben, als gäbe es etwas zu essen. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte daran geleckt. Er blickte nur kurz zu ihr auf, verschmitzt, nahm eine Schere und schnitt jeden Buchstaben aus. Es sah so aus, als führte er die Schere nicht ganz exakt, denn er nahm winzige Partikel mit, die als schwarze Sichelmonde, Halme und Haare auf seinen Schreibtisch fielen. Die ausgeschnittenen Buchstaben legte er in eine Schale, die er ihr gab:
    »Das lassen Sie den Wendelin in Folie schneiden.«
    Wendelin schnitt Folien mit einem Messer, das aussah wieein Stift. Um die Vorlagen nachzuschneiden, beugte er sich sitzend vor, seinen Bauch am Arbeitstisch quetschend, und korrigierte fortwährend den Sitz der Brille im schwitzenden Gesicht. Das Original, wie es von Passeraub gekommen war, klebte er auf eine weiße Unterlage. Die Folie, in die er die Form schneiden würde, fixierte er darüber. Es kamen eine ganze Reihe von Kurvenlinealen zum Einsatz, die er jeweils für Zentimeterstrecken nutzte; manches erledigte er freihändig, keuchend. Die rote Folie überreichte er Marleen schließlich mit einer galanten Geste. Dann versank er wieder in seinem Stuhl und schwitzte über dem nächsten Auftrag.
    Als Marleen am frühen Abend ging, war Monique nicht mehr da und Alain belagert von Furrer und Stüssi.
    Auf der Straße spürte sie ein Schaudern. Im Au Vide Gousse begrüßte sie der Kellner wie einen Dauergast. Er brachte ihr, ohne dass sie ihn bestellt hätte, den kleinen Milchkaffee. Unter die Untertasse schob er einen Umschlag. Darauf stand »M«. Marleen riss ihn auf. Sie fand eine beschriebene Seite mit einer Adresse als letzte Zeile: Franziskanerkonvent, Wohnheim, Sedanstraße 23, Hamburg. Die Postleitzahl fehlte. Darüber stand:
    »Marleen, ach Marleen. Was man nicht darf, steht an den Wänden. Aber was man darf, was einer wie ich darf, ich weiß es nicht mehr. Deshalb fliehe ich vor Dir, ich muss das tun. Vergib mir. Ja, es gibt etwas, das uns verbindet. Das war von vornherein so, ich weiß. Für einen Augenblick, mit Dir, war die Zukunft zum Greifen nah. Ob Gott es so will? Ich bin ohne Zeichen und ohne Rat. Franziskus«
    Sie wollte zahlen, aber der Kellner nahm das Geld nicht an.
    Marleen behielt den Kopf aufrecht. Wie ferngesteuert lief sie von der Bibliothek bis nach Hause. Zu Hause, das war jetztdie Wohnung von Pierre und Ann, Dämpfe aus der Küche, wohltemperiertes Klavier. Der Schoß der Familie. Die Kinder löffeln dein Herz aus. Sie war schlaflos bis weit in die Nacht und wachte noch vor der rosa Stunde auf.
    Sie verwarf ihre Bedenken und wühlte in den Papieren unter dem Bett, wo sie Simones Entwürfe gelagert hatte, unter dem Koffer, um sie wieder plan zu bekommen. Sofort sah sie, dass ihre Vorgängerin gescheitert war. In der Verstärkung war die Schrift ihr plump geraten. Sie hatte kein Auge gehabt für den graziösen Anteil der Geometrie. Die Tempi Novi war eine Schrift, die atmete. Das war es, was nicht verlorengehen sollte.
    Marleen legte sich wieder ins Bett, fror, schlief schließlich dennoch ein, verschlief, bekam von Pierre einen Kaffee in der

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