Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
Vom Netzwerk:
du geflüchtest bist vor meiner Liebe. Erst bist du zu mir ins Nest gekrochen, und dann bist du entwischt. Ich weiß nicht, was du tust und getan hast und mit wem du deine Tage und Nächte verbringst und all das. Nein, ich will dich nicht davon abbringen. Du sollst nicht in einem Doppelbett mit mir liegen in einer Doppelhaushälfte. Aber wir gehören zusammen – stimmt das, Franz – gehören wir nicht zusammen?«
    »… ein Klecks, der mechanisch verdoppelt wird …«, hörte sie ihn sagen.
    »Wir sollten uns Ringe kaufen oder uns die Adern aufschlitzen und unser Blut trinken …«
    »… und das Bild, mehr oder weniger symmetrisch …«
    »… oder uns heimlich trauen lassen, von einem Priester, um Mitternacht …«
    »… wird dem Patienten vorgehalten mit der Frage ›Was ist das?‹«
    »… und dann kannst du zurückschleichen in deine Bibliothek, weil ich dann nicht mehr fürchten muss, ohne dich zu sein …«
    »Und wenn er dann sagt: ein Ei, eine Spinne, ein Huhn, ein Auge oder so, dann ist er verrückt.«
    »Warum das?«, fragte Marleen, die keine Ahnung hatte, wovon er sprach.
    In dieser Nacht lag sie wach in ihrer Kammer, in der Gaube Restlicht wie Kohlestaub. Wie würde sie es machen? So würde sie es machen:
    Sie würde ihn den Jaccottets vorstellen, bevor diese das Haus verließen, die Kinder wären natürlich aufgeregt, aber Franz würde mit ihnen sanft sein und duldsam. Katie warimmer leichter ins Bett zu bringen als David. Sie würde Franz bitten zu flüstern, bis sie sicher sein konnte, dass die Kinder schliefen. Händels Violinen striegelten die Bläser, während sie in der Küche Käse essen und Rotwein trinken würden, nicht viel. Das Concerto grosso aus dem Wohnzimmer ginge automatisch zu Ende mit einem fast unhörbaren vierfachen Klicken, weit weg das Schnaufen Davids. Ihre Blicke wären bis dahin zur Ruhe gekommen, schweigend sähen sie einander an. Das würde sie nutzen für den Übergang, ihre Hand in seinem Haar, ihr Mund auf seinem. Die Sofalandschaft, im L gebaut, wäre der Schauplatz, ein wohliger dritter Ort, nicht seins, nicht ihrs. Keine Kerzen, kein Laken, keine Verhütung. Er wäre der andere Franz, der leibliche, Franziskus Maria, nicht sprechend, in jungenhafter Weise überwältigt, jenseits seines Verstands. Sie würde beide Hände auf seinem Po haben, um ihn ganz zu besitzen, ein Teil ihrer selbst. Das nahm sie sich vor: beide Hände, wenn es so weit wäre.
    Müde war sie am nächsten Tag, aber es war nicht die Müdigkeit der Gewohnheit, sondern die großer Erwartung. Die Gesichter der Kollegen schienen heller zu sein als sonst. Die Geistesgegenwart Stüssis wie vom Schöpfer in seine Stirn geknetet. Alain mit seinem langen Kopf, seine Wimpern schwarze Quasten. André wie von innen ausgestopft mit Pappmaché, der Marzipanmund offen stehend, Augen wie ein Labrador. Es war durchaus angenehm, ihm nah zu sein. Sie müsste sich nicht überwinden, wenn er zärtliche Regungen zeigen würde. Er wäre der Richtige in dem Sinne, als er wahrscheinlich nicht der Falsche wäre. Er wäre recht wie aufrecht. Er wäre von allen Typografen, die sie mochte, der, den sie am liebsten mochte. Ein guter Entwurf. Ein Lebensentwurf wie die Kosmos , gut sichtbar, leicht zu entziffern, haltbar, uninteressiert an Sperenzien und Sensationen. Solche Gedanken verfolgtenMarleen in ihrer Nische, während sie die Versalien K, Q und B aufblies, die Tempi Novi ultrafett, das ungeliebte Kind. Am Mittag traf sie Franz.
    Sie drückte ihn an ihren Busen. Sie küsste ihn auf den Mund. Er grinste ein bisschen schief. Das war neu an ihm, eine Andeutung vorsichtigen Bedauerns um die Mundwinkel, ein Hauch von Vergeblichkeit.
    Von der Metro gingen sie die Rue du Bac hoch – »weil die so herrlich laut ist«, wie Franz sagte –, bogen am Quai Voltaire ein und nahmen die Rue des Saint Pères zurück zum Boulevard St. Germain. Sie deuteten auf Straßenschilder, Einbahnstraßenschilder, die Namenszüge der Bäckereien, der Juweliere, der Antiquare; die Rauten der Tabak- und Presseläden. Eine Plakette an einer Postfiliale: Défense d’afficher.
    »Und nun«, sagte Franz, der stehenblieb, »tun wir so, als wenn es all das nicht gäbe.«
    »Was nicht gäbe?«
    »Die Beschriftung der Stadt.«
    Sie beschrieben einander nun die Häuserfluchten, die Höhe und die Farbe der Fassaden, die Fensterreihen, das zufällige Ornament der offenen und der verschlossenen Fensterläden.
    Marleen: »Siehst du das rosa Haus, vor dem der

Weitere Kostenlose Bücher