Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
Vom Netzwerk:
Französischen weniger stolperte als im Deutschen: Haben die einfach die besseren Schriften? Quatsch, das muss etwas mit dem Spracherwerb zu tun haben. Allein der ganze Fernsehmüll, den wir uns als Kinder reingetan haben, dass das erlaubt war, und wahrscheinlich habe ich schon mit acht geahnt, dass Papa stiften geht, und habe deshalb schief durch meine Brille geguckt. Plötzlich fiel ihr Ingolf ein, der Junge mit dem Afro und den Fransenshorts. Ihr wurde warm im Bauch.
    Antoine wurde am 8. August 1988 im Diakonissenkrankenhaus geboren, Paris, 12. Bezirk. Man hatte Marleen nicht lange zureden müssen, damit sie die neue Betäubung über das Rückenmark akzeptierte. Das Krankenzimmer war nicht klimatisiert, aber Antoine schien die Sommerhitze nichts auszumachen. Und Marleen gehörte jetzt zu jenen Menschen, die wenig Gelegenheit haben zu fragen, wie es ihnen selber geht.
    In der Woche drauf war sie schon wieder im Atelier, Antoine schlafend in einer Schlinge vor dem Bauch tragend. Sie wurde empfangen wie höherer Besuch, die Arbeit blieb liegen, die Telefone wurden nicht mehr abgenommen. Furrer überreichte ihr den Gehaltsscheck für den abgelaufenen Monat. Passeraub kam aus seiner Glaskabine, berufsuntypisch strahlend, während Antoine den Meister, oder ein Licht in seinem Rücken, extraterrestrisch beglotzte.
    Marleen ließ sich das alles gefallen. Auf ihrem Schreibtisch fand sie die Anfrage an PSF für die Gestaltung eines Straßenmagazins: Die Boutiquen stellen sich vor. Ein Logo war gefragt, das nicht nach altem Paris aussah und keinen Kiezmuff verströmte. Ob sich nicht Mademoiselle Marlène damit befassen könnte, falls sie nicht schon ihr Kind bekommen habe, wozu man dann gratuliere. Marleen ließ sich in den fünfbeinigen italienischen Drehstuhl zurücksinken, dessen wie ein Frack verlängerte Rückseite sie federnd auffing.
    Sie gab Antoine die Brust, der mit der Berührung die Augen schloss. Sie betrachtete die Vorstufen vergangener Entwürfe an der Wand ihrer Nische, die Rue Mouffetard in allen möglichen Varianten, und immer noch die alten Ausdrucke von Hamburgerfonts in der Tempi . Etwas später spürte Marlen einen Schatten vom Gang her. Sie drehte den Stuhl, bis sie erkennen konnte, dass es Monique war. Die stand da, stumm, und sah der Mutter zu, wie das Kind an ihr saugte. Marleen mit ihrer Lesebrille wirkte, als wäre sie ihrem Arbeitsplatz nur für Minuten ferngeblieben.
    »Alles gutgegangen?«, fragte Monique.
    »Ich glaube schon«, sagte Marleen.
    Antoine hatte sich zurückgelehnt und die Augen geöffnet. Monique nahm seine linke Hand und prüfte die winzigen Finger.
    »Das sind die Ziffern.«
    »Ja richtig«, sagte Marleen, »eins bis zehn.«
    Monique lächelte nachsichtig. Marleen machte keine Anstalten, ihre feuchte Brust zu verbergen.
    »Im Prinzip schon«, hauchte Monique. »Null bis neun.«

Ein Umweg
    Wie warm es war im September, wie heiß unter der Mittagssonne zwischen den Blechkisten, die eine Modellschau all dessen abgaben, was in Detroit vom Band gelaufen war zwischen 1963 und 1981; das jüngste Auto war acht Jahre alt. Kjell fragte den Verkäufer zweimal, ob er glaube, dass »der Blaue« eine Fahrt von drei Tagen überstehen würde, aber schon die Probefahrt war überwältigend gewesen. Der Delta 88 war eines jener großen Autoschiffe, schwer, schwankend, stark, das Lenkrad mit einem Finger zu bewegen, die Bremsen prompt, die Schaltung automatisch. Das Heulen in fünf oder sechs Tonlagen beim Anfahren ging über in ein fast unhörbares, aber spürbares Pochen, das Herz eines Riesen. In den großen Scheiben zog die Stadt Austin vorbei, ein Bilderbogen.
    »Wow, die Siebziger«, sagte Hans, als der Wagen vorfuhr.
    Seine Sachen waren unvollständig gepackt. Kjell versenkte die Koffer im Kofferraum, die darin verschwanden wie Handtaschen, und trug den Rest einzeln raus, das Auto rückwärts geparkt vor dem fensterlosen Seiteneingang eines zweistöckigen Hauses jenseits der Gleisanlagen. Sie verließen die Wohnung wie Amerikaner, mit schmutzigen Tellern auf dem Tisch, Erdnussbutter im Schrank und zwei Wochen Mietschulden.
    Die Dobro, silbrig glänzend, lag auf dem Rücksitz. Hans dirigierte Kjell in die vierte Straße, bat ihn, neben dem Musikhaus zu parken, und hieß ihn, die Gitarre zu nehmen und tausend Dollar zu verlangen.
    »Das musst du machen. Ich versteh’ nichts davon«, sagte Kjell.
    »Ist besser so, bestimmt. Guck mich an. Ich bin nichtsmehr wert.« Da war etwas dran. Hans sah

Weitere Kostenlose Bücher