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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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darf es sein«, sagte Furrer. »Die bildliche Kraft ist entscheidend.«
    »Vor allem ist es irgendwie frisch«, gab Stüssi zu. »Halb Körper, halb Maschine. Sie müssen die ›e‹s noch schmaler führen, eckiger, fieser. Und gehen Sie nicht selbst hin, umes zu zeigen, schicken Sie einen Boten mit dem Entwurf auf Folie, nicht zu klein, tiefschwarz, scharf wie eine Klinge.«
    Zwei Wochen später war der junge Journalist wieder da. Er beglotzte Marleen durch seine riesige Brille. Sie saß in ihrer Nische, über einen handgeschriebenen Schriftzug gebeugt. »Nur eine kleine Überarbeitung«, sagte sie. Er notierte es. Mit dem Weitwinkel machte er ein Foto von ihr, auf sie hinunterblickend.
    Es war Mitte April, als die Zeitschrift kam. Sie zeigte drei schwarz-weiße Signets, RIEN, Tête, agnès b., und ein Bild von Marleen in ihrer Nische, die aussah wie ein Gewölbe. Das alles auf einer unteren halben Seite. Durch das Weitwinkel erschien ihr schmales Gesicht noch schmaler, während der Bauch in der Bildmitte saß wie ein Ball. Der Text, in unterschiedlichen Schriftstärken, war um die Bilder gemauert, auf Englisch, Französisch und Deutsch:
    »Wer die rasante Stadterneuerung östlich des Boul’ Mich’ beobachtet, kennt die frischen, lichten, lauten Boutiquen wie Tête, Le Peuple Vert, RIEN und Bad Taste Lounge – ein Hauch von London hält Einzug in Paris. Die besten Signets kommen von einer jungen Deutschen, deren messerscharfe Skizzen den Imprint von Passeraub, Stüssi und Furrer tragen. Ausgebildet bei Tomas Weingart, verknüpft sie den Beat des New Wave mit der schmiedeeisernen Solidität des Art déco. Paris war schon immer reich an kommerziellen Zeichen von hoher Definition, aber das Logo von Tête ist nicht weniger als das Schmuckstück der Rue Mouffetard geworden, halb schwarzer Block im Aufmarsch, halb Superman landend, ein Typo-Werkstück, das in jeder Größe seine Kraft entfaltet, bis in die Miniatur eines Preisschilds. Marleen Schuller, 23, blickt mit feurigen Augen in die Zukunft, oder jedenfalls in die Ferne, während die Rundung in ihrem nicht so kleinen Schwarzen (by agnès b., deren Logo für den japanischen Markt siegerade überarbeitet hat) von einer näher gelegenen Mission kündet. Chapeau!«
    Auf ihrem Schreibtisch fand sie einen Grand Cru. Der konnte nur von Stüssi sein. Stüssi war es, der die Laune hochhielt, Lobenswertes lobte, Entwürfe aushängte, Geburtstage nicht vergaß; ein Kurzportrait in der Fachpresse, in diesem Fall. Aber Marleen wusste, dass solche Aufmerksamkeiten nicht selbstlos gemeint waren. Stüssi war der Manager der Werkstatt, er konnte Arbeitsplätze schaffen oder streichen. Er schnitt die Abteilungen zu auf ihre Aufgaben. Er besuchte sie an ihrem Arbeitsplatz, den guten Moment auskostend, und ließ sie wissen:
    »Wenn Sie wirklich so versessen sind auf typografische Basisfragen, dann müssen Sie nur da rüberschauen.« Er wies mit seinen Augen durch die Glaswand auf die Citronique, an der zwei Gestalten klebten. »Unsere Branche ist ziemlich nachlässig gewesen, was Speichermedien betrifft. Aber die Gutenberggalaxis ist nicht unendlich. Alles, was wir können – was Sie können, Marleen –, muss am Ende niedergelegt sein in Programmen. Was unser Gewerbe brauchen wird, sind Leute, die tief ins Elektronische schauen, die die Möglichkeiten dessen kennen und trotzdem das Handwerk noch beherrschen. Denken Sie mal drüber nach.«
    Man war durchaus fair gewesen, sie für ein Jahr zu bestellen. Nur, dass der Zeitpunkt der Entbindung mit einem der letzten Arbeitstage zusammenfallen würde. Sie musste an Nördlingen denken, wo man irgendwann aufgehört hatte, ihre zukünftige Abwesenheit zu erwähnen. Vielleicht hätte sie die milde Form des Unglücks wählen sollen, Uli Steidle heiraten, Sie welle zoohle? Damals hatte sie nein gesagt. Aber hatte sie jetzt ja gesagt? Wie war es dem Schicksal gelungen, Macht zu bekommen über ihre Bestimmung? Sie hatte es geschafft, ihre Schwangerschaft zu ignorieren (Vitamine raufund Rotwein runter, das schon), aber vor allem hatte sie sich eingelebt, konnte inzwischen auf Französisch antworten und verstand sogar das Schweizerdeutsch. Sie war dem Typopfad gefolgt bis dorthin, wo er eng wurde, wo man wusste, dass man nichts wusste, und jenseits dessen hatte sich eine Stadt aus Buchstaben aufgetan. Merkwürdig, wie hart man erst gegen sich selbst werden musste, um nicht mehr zu vergessen als man lernte. Kaum zu fassen, dass sie beim Lesen im

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