Nichts Weißes: Roman (German Edition)
gewesen, stark, schnell, ein Tänzer; damals noch mit langen Haaren, ein Klempnersohn aus Knäred, angelandet in Lund, unzufrieden oder noch nicht am Ziel.
Kjell hatte seinen Eltern eines Tages mitgeteilt, er habe das Souterrainzimmer einem Kommilitonen gegeben, Student der Psychologie, und da hatte es begonnen, das andere, das schnellere Leben. Ob Kjell nun Jungen liebte oder Mädchen, Hans war allemal das größere Wagnis, dem musste man erst einmal die Dorfangst löschen und das Tapetenmuster aus dem Kopf pausen. Was hatte der für einen wundersamen Trieb, der, als er es raushatte, sichtbar wurde im Gang, in der Drehung des Kopfes, in der Haltung der Hände. Welche Überraschung, dass er passiv war, dass er genommen werden wollte, geschaukelt wie ein Kind; der feminine Teil noch nicht eindeutig, nicht vor New York. Erst waren sie nach Stockholm geflüchtet, die ersten dunklen Bars, anfangs fremd die Riten unter Fremden. Bald hatte Hans rebelliert. »Du denkst, du hast mich gemacht, aber das ist Quatsch«, hatte er gesagt, böse, funkelnd. Aber es stimmte. Es war natürlich das Geld ausLund gewesen, Kjells guter Wille und seine Neugier auch: So war es möglich, die braven Pfade der Universitätsstadt zu verlassen, abzutauchen in der Unter-, Neben- oder Gegenwelt der Hauptstadt, bevölkert von Strichern, Theaterleuten, Studenten der Kunstakademie, Politikern bis in den dritten oder auch den zweiten Rang. Hans musste einmal durch die Hölle, die für ihn keine war.
Bei Little Rock hatte Kjell eine Wachmachertablette geschluckt, die ihn weiterzog bis in den Morgen. Erst als es dämmerte, wagte er, eine Musikkassette einzulegen. Sie waren unterwegs im Grenzgebiet dreier Bundesstaaten und zweier großer Flüsse und derer Nebenarme, ein Sumpfgebiet, das von Straßen und Brücken zusammengehalten wurde, ein Spinnennetz. Hans, jetzt auf dem Beifahrersitz, die ersten Strahlen der Morgensonne in seinem Gesicht, kalter Schweiß, ein bitteres Lächeln,
»Du weißt, dass das Plastikmusik ist?«
Kjell grinste. Er mochte nun einmal Lieder, die über Orchestermusik gesungen waren.
Dass Hans ein Ohr hatte, war zuerst einem Stockholmer Komponisten aufgefallen, dessen Musik klang wie Möwenkreischen über Gotland unterlegt mit dem Wummern der Werkshallen von Trollhättan. Er mochte den Jungen, nahm ihn in seine Altstadtwohnung mit, füllte ihn mit Champagner ab, bevor er ihn vernaschte, und am Morgen wurde Hans verzärtelt und bewirtet wie ein junger Gott. Der Komponist verriet ihm, er suche – zwar nur ein kommerzieller Auftrag und ihm eigentlich lästig – die Titelmelodie für eine Fernsehserie, die von einem charmanten Gelegenheitsdieb handeln solle, und Hans sah in den Spiegel, in dem ihm ein ungewaschenes, spitzbübisches Gesicht erschien, und pfiff dem Komponisten eine Melodie, ein finnisches Kinderlied, das er von seiner Mutter kannte, dem er einige frivole Schlenker hinzufügte.Der Komponist hieß ihn schweigen, machte eine Notennotiz mit Filzstift auf dem Küchentisch und dankte ihm zwei Monate später mit einem Replay jener Nacht und einem Scheck über fünfzigtausend Kronen.
Für Hans, dessen musikalische Früherziehung im Empfang gelegentlicher Backpfeifen bestanden hatte, war all das eine Entdeckung, eine einzige, so wie manch andere Schnaps und Liebe gleichzeitig entdecken und dann nicht mehr voneinander unterscheiden, können oder wollen. Er verbrachte die nächsten Monate als Mädchen für alles in einem Studio bei Stockholm, in den Männerbars der Altstadt, in deren Hinterzimmern, mit Kjell bei Konzerten im Kulturhaus und in der Oper. Hans wusste nur so viel, dass er kein Musiker werden würde, denn er sang nicht besser als richtig, und für den Rest war es zu spät.
Kjell, nun schon mit glasigen Augen, war von der Autobahn nach Nashville eingebogen, war über den Fluss gerollt, er dachte für einen Moment, man könne das Blubbern dieses riesigen Motors als Vibration in den Scheiben der Geschäftshäuser sehen, auf die sie sich zubewegten. Sie richteten sich im Holiday Inn ein, das wie eine Burganlage am Westrand der Innenstadt klebte, schliefen bis in den frühen Abend und machten sich dann auf ins Ryman Auditorium, wo ein behuteter Countrysänger aufspielte, meistens up-tempo, mit einer Bassbegleitung als Herzmassage. Kjell hatte dessen Namen noch nie gehört, und er hätte auch nicht schwören mögen, dass ihm das gefiel, die kupferne Stimme, das Knödeln, die punktgenau auf Steigerung gebauten
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