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Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Nichts Weißes: Roman (German Edition)

Titel: Nichts Weißes: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulf Erdmann Ziegler
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Garderobe gab es jetzt fahrbare Ständer. In der Küche, die zum Hinterhof hin komplett verglast und der einzige Raum war, in dem man den gewaltigen Autoverkehr nicht hörte, stand ein riesiger Tisch, ein Shakermöbel. Jemand war auf die Idee gekommen, die Farne, die im Hof wucherten, zu beleuchten. Tom Bryan war eingezogen, und mit ihm der Singsang aus Louisiana. Kam er allein zurück ins Loft, rief er »Faggots of America!«, zur allgemeinen Begrüßung; hörte man nur das Klappern des zweifachen Schlosses und danach zaghafte Schritte, war er in Begleitung. Aber nichts hielt lange. Vielleicht irritierte es die jungen Frauen, wie ein Mitbewohner namens David – jovial, strahlend – Tom Bryan in die Arme nahm, einfach so, und ihn auf die Lippen küsste. David war uptown aufgewachsen, der südliche Central Park sein Kinderspielplatz. Nun kam Hans als Vierter hinzu, ein rund um die Uhr betreuter Patient. Tom Bryan brachte niemanden mehr mit und widmete sich stattdessen dem Haushalt, der einem Hospital immer ähnlicher wurde. Hans verfiel schnell. Erst suchte er nach englischen Worten; nach sechs Wochen sprach er nur noch Schwedisch. Da fand Kjell, es sei an der Zeit, ihn in die Heimat zurückzubringen.
    An einem grauen Morgen in Roissy war er mit Hans unterwegs von einem Terminal zum anderen. Hans war sehr dünn und hatte dunkle Stellen am Hals. Er klammerte sichan Kjell, sie gingen langsam und wirkten aus der Ferne wie ein verwundetes Tier. In einem Selbstbedienungsrestaurant setzte Kjell den Freund auf eine Lederbank und stellte sich am Tresen an. Vor ihm war eine junge Frau an der Reihe, die, während sie bestellte, in die Ferne sah. Sie schien abwesend und entschlossen. So hatte Kjell Zeit, sie zu betrachten. Er gestand sich ein, dass er sie ungewöhnlich fand, und sprach sie an. Sich das Haar aus der Stirn streichend, versuchte er es holprig auf Französisch, dann, als er merkte, dass sie keine Französin war, wechselte er ins Englische. Es gelang ihm, sie aufzuhalten, während er sein Tablett füllte, für Hans und sich. Sie folgte ihm an den Tisch, das Handgepäck schon dabei. Sie sah Hans – und erschrak nicht. Ihr Fernblick schaltete auf Nahblick. Sie gab Hans die Hand und fragte ihn, wie es ihm gehe. Er antwortete in einer wohlklingenden Sprache, die sie nicht verstand. Kjell übersetzte:
    »Er sagt, sehr gut. Er freut sich auf seine Heimat.«
    Kjell bemerkte eine Feuchtigkeit in den Augen der jungen Frau, deren Namen er noch nicht kannte.

Eine Art Laienkunst
    Alle neuen Terminals waren mit der Kosmos , nein, mit der Passeraub beschildert. Marleen saß an einer Cafébar, in der schwarz-weißen Handtasche, diese ein Geschenk von RIEN, ein Businessclassticket nach New York. Ihr fröstelte bei dem Gedanken, Antoine in Europa zurückzulassen. Sie war als Kind einmal in Amerika gewesen; nun war sie erwachsen und allein.
    Nicht, dass sie Grund zur Klage gehabt hätte. Die Jaccottets waren zwei Jahre zuvor in die Cité Bauer gezogen, eine einseitig bebaute Gasse mit Stadthäusern, von denen sie eins allein bewohnten, mit Garten. Marleen und das Kind hatten sie einfach mitgenommen. Sie brauchte nicht einmal mehr die Metro, brachte Katie zur Schule, David und Antoine zum Hort und ging zu Fuß zum Atelier. Wie geschäftig Montparnasse war, gerade geschnitten, hell, ohne urbanen Moder. Keine Rorschachtests auf dem Trottoir. Ann Jaccottet war als Bratschistin des Jahres zur Deutschen Grammophon gewechselt; das Quintett probte jetzt im Haus.
    Als sie Paris verließ, wurde Marleen von Bildern geradezu bedrängt. Bilder, die Fragen waren. Wie sie überhaupt dahin gekommen war. Sie stellte sich vor, dass sich eine Pforte auftat und hinter ihr schloss. Sie würde Platz nehmen, der Platz setzte sich in Bewegung, alles war mächtig und laut, danach stiller und geordnet, bis sie schließlich das Layout von oben sah. Dies alles gibt es also. So ist alles gemacht. Oder geworden. Die großen Plätze und die kleinen Gassen. Die grellen Lichter und die matten Funzeln. Die steingrauen Behörden und die graugrünen Parks. Die Cité Bauer und der Jardin du Luxembourg, Marais und Montparnasse, Brotschrift und Plakatschrift, kursiv und fett. Franz und Antoine, die Nähe und die Ferne. Und der Barmann am Flughafen wunderte sich, was ein einfacher Kaffee auf die junge Frau für eine Wirkung hatte.
    Sie konnte sich nur noch vage erinnern an ein mönchisches Vorhaben, allein in einer Kammer grübelnd über die letzte aller Schriften,

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